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Wenn die Kultur der Tech-Industrie zugutekommt

San Francisco-Oakland Bay Bridge
Die San Francisco-Oakland Bay Bridge: die Route, über die die Künstler-Community von San Francisco im Zuge der Tech-Explosion im Silicon Valley abgedrängt wurde | © Frank Schulenburg / Wikimedia Commons CC BY-SA 3.0

„Dass San Francisco für Tech-Angestellte so attraktiv war, liegt an all dem, was die Künstlerklasse nach SF gebracht hat“, erklärt der Fotograf und Winzer Greekor „Greg“ Nemet, einer von fünf Kunstschaffenden, die in Lara Sarkissians Audio-Collage Timezones: Bay Area vorgestellt werden. „Aber das Zweischneidige an der Sache ist natürlich, dass sich Kunstschaffende nicht mehr frei in der Stadt bewegen konnten“, fügt Nemet hinzu, als er das Überleben der Kunst in der nordkalifornischen Region im Zuge der Tech-Explosion im Silicon Valley anspricht. Ein Essay über die lange und verwickelte Beziehung zwischen Kunst und Technologie in San Francisco.

Von Steph Kretowicz

Genau wie Sarkissians träumerischer Kurzausflug in die vielfältige multidisziplinäre Kunstszene im Orbit der Bay Area ist auch die Geschichte der Region ein undurchsichtiges Gebräu aus sozialen, politischen und kulturellen Einflüssen. Am berühmtesten ist die Region vermutlich als Stätte der gegenkulturellen Bewegung des Jahres 1967, die als Summer of Love bekannt wurde und sich auf das Stadtviertel Haight-Ashbury konzentrierte. Dennoch wurde der Ruf San Franciscos als Drehscheibe von Kreativität und liberalem Aktivismus nach dem Internetboom der 1990er Jahre von seiner Technologie- und Startup-Kultur in den Schatten gestellt. Die Künstler-Community der Stadt wurde von Tech-Riesen wie Google, Apple, Facebook und Airbnb weitgehend vertrieben und über die San Francisco-Oakland Bay Bridge in die Stadt Oakland abgedrängt. Dort bekommt die Community auch weiterhin den Druck des überquellenden Silicon Valley zu spüren.

Die Idee der „Selbstverwirklichung“

Weit davon entfernt, Technologie zu meiden, tendieren die in Sarkissians Beitrag vorgestellten Kunstschaffenden dazu, ihr kreatives Potential positiv anzunehmen. Der Duduk-Spieler Khatchadour Khatchadourian erkundet „ein ganzes Spektrum an Möglichkeiten“. Die Filmemacherin Nadia Shihab sinniert über einen Geist, der in Oakland „auf unerwartete Arten“ mit Technologie arbeitet. Und Esra Canoğulları, Produzent/in elektronischer Musik, preist eine hybridisierte Erfahrung, in der Canoğulları sowohl „physischen wie digitalen Raum für einen marginalisierten Körper“ schaffen kann. Wenn Canoğulları – auch als 8ULENTINA bekannt – von der Schaffung „eine[r] Erweiterung unseres körperlichen Wesens“ spricht, klingt hier interessanterweise die Idee der sogenannten „Selbstverwirklichung“ nach, die sich auch wie ein roter Faden durch die moderne Tech-Welt zieht.

Die Ähnlichkeit mit dem Grundgefühl der Tech-Welt, „helping humanity thrive“ [„der Menschheit aufblühen helfen“] – um den Leitspruch der Teammanagement-Software Asana aus dem Silicon Valley zu zitieren –, ist nicht unbedingt Zufall. Während sich die Psychedelik-, Hippie- und Bürgerrechtsrevolution des Summer of Love zusammenbraute, war auch eine neue, humanistische Denkungsart im Entstehen. Der aus Nordkalifornien stammende Michael Murphy lernte 1960 in San Francisco Dick Price kennen, wo die beiden psychologische und spirituelle Denkweisen kombinierten und das berühmte Esalen-Institut in Big Sur gründeten. Das Retreat-Zentrum samt intentionaler Community – knapp südlich der Bay Area an der kalifornischen Central Coast gelegen – ist ein Grundpfeiler der New-Age-Kultur, die auf den Prinzipien des sogenannten Human Potential Movement beruht. Es postuliert eine außerordentliche, unerschlossene Fähigkeit in jedem Menschen, die, wenn sie genutzt wird, breiteren (positiven) sozialen Wandel herbeiführen wird. Ihre Ursprünge finden sich in der „Bedürfnishierarchie“ des humanistischen Psychologen Abraham Maslow aus dem Jahr 1943, die besagt, dass die höchste Entwicklungsstufe einer Person, wenn ihre grundlegenden physischen und sozialen Bedürfnisse erst einmal gedeckt sind, in der vollen Verwirklichung dessen liegt, was sie ist – ihrem „wahren Ich“.

Das Denken von Gates, Jobs und Co.

Diese Haltung der Selbstverwirklichung klingt auch in den Ideen des Professors und Ingenieurs Frederick Terman an, dem „Vater des Silicon Valley“, der seinen Studierenden eine Ethik von Innovation, Unternehmergeist und Individualität einprägte. Sie inspirierte das Denken von Menschen wie Bill Gates, Steve Jobs und der breiteren Tech-Industrie und hallt in den Worten der Künstlerin Sofía Córdova: nach „Alle Menschen, die ich einfach nur durch mein Dasein als Musikerin auf dieser Welt kennen gelernt habe, haben meine Vision davon, was möglich ist, erweitert.“ Angesichts dessen lautet die Frage dann: Wo und ab welchem Punkt weichen diese parallelen Felder mit ihrer gemeinsamen Herangehensweise an die Selbsterfüllung voneinander ab? Und wie können sie koexistieren?

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