Leben auf Spektren

In ihrem Beitrag für unsere Podcastserie Timezones interviewte die in der Bay Area lebende Künstlerin Lara Sarkissian einige ihrer Kolleg*innen und Weggefährt*innen. Ein Thema, das in dem Beitrag immer wieder auftaucht, ist der interdisziplinäre künstlerische Charakter der Region. In diesem Essay bestätigt unsere Autorin diese Beobachtung, verfolgt sie zu ihrer eigenen zwischen Kulturen und Disziplinen verwurzelten Biografie zurück und spekuliert über das fruchtbare Potential der Multidisziplinarität für kreative Prozesse.
Von Ruth Gebreyesus
Alle Arbeit ist dieselbe Arbeit. Das sage ich den Leuten immer, wenn sie mich fragen, wie ich Kulturautorin wurde, obwohl ich an der Uni Biologie studiert habe. Mein Wechsel von der Biologie zum Schreiben war weder schmerzlich noch unstimmig. Er ist das, was die Künstlerin Nadia Shihab, wenn sie in dieser Timezones-Folge ihre Arbeit beschreibt, „eine allgemeine Verflochtenheit von Genres und Formen“ nennt. Meine dominanten Interessen sind mein ganzes bewusstes Leben über dieselben geblieben. Was sich geändert hat, ist die Form.
Von grundlegender Neugier zum Schaffen getrieben
Diese Neugier – mein Interesse an Systemen und Macht, natürlich wie unnatürlich – führte mich zunächst zur Biologie. Ökologie stellte sich als attraktives Bezugssystem heraus, mit dessen Hilfe man versuchen konnte, die Welt zu verstehen, und als ich nachhause in die Bay Area zurückkehrte, diente sie als Perspektive, aus der ich die kulturellen und sozialen Ökosysteme um mich herum erkundete. Manche Analogien passten, andere waren schwerfällig und wurden verworfen. Nichtsdestotrotz bleibt es ein glücklicher Zufall, dass die Bay für Äquivalenzen und Verschiebungen wie die meinen offen ist. Als hier ansässige Kulturautorin nahm ich ein ökologisches Bezugssystem und fragte: Wie funktioniert eine kreative Community? Welche Umstände – von der Politik über die Infrastruktur bis hin zur Geschichte – kultivieren künstlerische Möglichkeiten in einer Person und an einem Ort? Über diese Arbeit lernte ich Kunstschaffende wie 8ULENTINA und Sofía Córdova kennen, die sich auf ähnliche Weise einer einzelnen Disziplin widersetzten. Sie bewegten sich zwischen und um verschiedene Medien, Institutionen und Randgebiete herum, von ihrer eigenen grundlegenden Neugier zum Schaffen getrieben. Die Form kam später.
Dieser Widerstand dagegen, sich auf nur ein Instrument zu spezialisieren, lässt sich vielleicht besser durch das Eingeständnis des Drucks auf Kunstschaffende kontextualisieren, ihr Werk fein säuberlich und für alle Ewigkeit zu kategorisieren. Dieses Beharren ist ein völlig unnatürlicher Impuls. Unsere eigene menschliche Geschichte ist zu undurchsichtig, zu blutig für definitive Grenzlinien und Begrenzungen. „Ob es darum geht, wie ich meine Feminismen praktiziere oder auf welche Weise ich queer bin oder um die Tatsache, dass ich aus einem kolonisierten Land komme, das selbst wiederum das Produkt einer gewalttätigen Mestizaje, einer kulturellen Vermischung, ist – ich bin aufgrund der schrecklichen Geschichte des Kolonialismus afro-indigen –, aber das ist meine Realität. Es gibt also in meinem Leben nicht wirklich Raum dafür, bloß eingleisig zu arbeiten“, erklärt Sofía in Bezug auf ihre künstlerische Praxis, die mit großformatiger Fotografie begann und sich in die Bereiche Klang, Performance, Musik und mehr entwickelt hat.
Die ursprüngliche künstlerische Prämisse
Und so ist in der Bay – speziell in der kreativen Community – unser Interesse an Identitäten ein Mittel, sie komplizierter zu machen. Eine ethnische Identität ist beispielsweise nicht notwendigerweise eine Investition in Nationalismus, eine rassische Identität lässt sich durch die Linse des Kolorismus besser verstehen, Sexualität wird als auf einem der Zeit unterliegenden Spektrum existierend betrachtet und so weiter. Dies sind dynamische Daseinszustände und deshalb ist Multidisziplinarität für viele Kunstschaffende selbstverständlich. Ein Wechsel von Disziplinen und Medien ist hier weniger irritierend. Er geschieht, wenn er geschehen muss – manchmal aufgrund wirtschaftlichen und materiellen Mangels. Kunstschaffende profitieren definitiv nicht in irgendeiner Form dauerhaft von der Tech-Präsenz in unserer Region. In anderen Fällen sind Verlagerungen Erweiterungen, die von der Kollaboration mit anderen Kunstschaffenden getragen werden. Für mein Gefühl werden sie im Grunde von Ehrlichkeit motiviert – will heißen, sie folgen der ursprünglichen Prämisse, die Kunstschaffende zum Schaffen treibt.
Was ist die Wahrheit? Über uns selbst und über einander? Im Interesse des Aufspürens von Antworten oder von neuen Prozessen, um diese Fragen zu stellen, ist es nur natürlich, dass wir jedes greifbare Werkzeug nutzen, Instrumente hybridisieren, wenn wir dazu aufgerufen werden, und uns für neue Sprachen und Technologien öffnen. Wir selbst stehen unter dem Einfluss zahlreicher Kulturen, zahlreicher systemischer Kräfte und Zwänge, natürlichen wie unnatürlichen. Unsere Identitäten – ethnisch, sexuell, geschlechtlich – existieren auf einem Spektrum, das ihre dynamische Kraft besser erfasst. Unsere Arbeit reflektiert diese Kräfte, diese Spannungen und Widersprüche. Der/die in der Bay Area lebende Elektro-Musik-Künstler/in 8ULENTINA formulierte es am besten: „Wenn wir eine kreative Welt für uns selbst schaffen, wenn wir einen Kontext für uns selbst schaffen, schaffen wir im Grunde eine Erweiterung unseres körperlichen Wesens.“