28.08.2012: Goethe-Medaille 2012 in Weimar verliehen
Der Präsident des Goethe-Instituts Klaus-Dieter Lehmann hat am 28. August in Weimar die diesjährige Goethe-Medaille an die litauische Literatur- und Theaterwissenschaftlerin Irena Veisaitė, den kasachischen Theaterregisseur Bolat Atabayev und den bosnischen Schriftsteller Dževad Karahasan verliehen. Mit dem offiziellen Orden der Bundesrepublik ehrt das Goethe-Institut ausländische Persönlichkeiten, die sich mit besonderem Engagement um die Vermittlung der deutschen Sprache und den internationalen Kulturaustausch verdient gemacht haben. Die Goethe-Medaille wurde 2012 zum 58. Mal verliehen.
Für ihr Lebenswerk als treibende Kraft im deutsch-litauischen Kulturaustausch, ihre Kreativität und ihren politischen Mut auch Unbequemes anzusprechen wurde „die patriotische Litauerin und gleichzeitig überzeugte Europäerin“ Irena Veisaitė mit der Goethe-Medaille geehrt. Veisaitė gehört zu den wenigen jüdischen Überlebenden des Holocaust in Litauen. Sie ist immer für Versöhnung und Zusammenarbeit eingetreten und hofft bis heute auf einen gemeinsamen jüdisch-litauischen Blick auf die Geschichte. Veisaitė ist Mitbegründerin der litauischen Dependance der Soros-Stiftung, deren Vorsitzende sie zehn Jahre war. Zudem war sie Leiterin des Thomas-Mann-Zentrums zur Förderung der deutschen Literatur und Sprache sowie bis 2011 Kuratoriumsmitglied des Thomas-Mann-Festivals, an dem sie sich heute noch aktiv beteiligt. Sie veröffentlichte über 200 Artikel in der litauischen und ausländischen Presse, ist Mitautorin zahlreicher Lehrwerke und Herausgeberin einiger Bücher. Veisaitė habe die Fähigkeit, in einem Konflikt immer beide Seiten zu sehen und zwischen politischen Gegnern zu vermitteln. Von einseitigen Erinnerungen, Pauschalverurteilungen und nachtragendem Hass halte sie ebenso wenig wie von Selbstheroisierung und Selbstgerechtigkeit, würdigte die Literaturwissenschaftlerin Aleida Assmann die Preisträgerin in ihrer Laudatio.
Der kasachische Theaterregisseur Bolat Atabayev wurde für seine Verdienste um die deutsch-kasachischen Theaterbeziehungen sowie als mutiger Kämpfer für demokratische Strukturen mit der Goethe-Medaille geehrt. „Da Bolat Atabayev ein autonomer Künstler ist, autonom im Sinne einer relationslosen Unabhängigkeit, ist er ein politischer Mensch sui generis“, so Helmut Schäfer, künstlerischer Leiter des Theaters an der Ruhr, in seiner Laudatio über den Preisträger. Seit über 30 Jahren beschreitet der Mitbegründer des Deutschen Theaters in Almaty unerschrockenen einen nicht ungefährlichen Weg innerhalb der kasachischen Kulturlandschaft. Früh gewährte ihm die Nachbarschaft zur deutschen Minderheit einen Zugang zur deutschsprachigen Kultur und durch mehrere Deutschlandaufenthalte erhielt Atabayev Impulse für seine Arbeit. Vor einigen Jahren gründete Atabayev sein eigenes Theater Aksarai, das die Theaterlandschaft Zentralasiens mit neuen künstlerischen Ausdrucksmitteln bis heute bereichert. „Mit seinen Stücken greift er die brennenden Themen seines Landes auf, legt die herrschenden Verhältnisse offen, behandelt den Völkermord an den Wolgadeutschen, solidarisiert sich im November 2011 in der Stadt Schanaosen mit den für bessere Arbeitsbedingen streikenden Ölarbeitern. Es war zu befürchten, er könne wegen der Anklage ,Anstiftung zu sozialen Unruhen‘ und des Gefängnisaufenthaltes nicht nach Weimar kommen. Aber die Unterstützung im eigenen Land und die internationale Solidarität haben seine Freilassung bewirkt“, bemerkte Klaus-Dieter Lehmann in seiner Festrede.
Mit der Goethe-Medaille ausgezeichnet wurde der bosnische Schriftsteller Dževad Karahasan. „Die Leser von Dževad Karahasan treten in den Sarajevo-Traum ein, eine Stadt wird zur Seelenlandschaft – mehr als diesen Aggregatzustand kann eine Stadt nicht erreichen“, so der Autor Martin Mosebach in seiner Laudatio für den Preisträger. Durch seine auf Dialog, Vermittlung und Konfliktlösung ausgerichtete literarische Stimme erreicht Karahasan Gehör über die Grenzen Bosnien und Herzegowinas hinaus; einem Land das nach dem Zerfall von Jugoslawien und dem Krieg immer noch um seinen inneren Zusammenhalt und um seinen Weg in die europäische Gemeinschaft ringt. Seine starke Verbindung zur deutschen Sprache, in der er heute auch schreibt, begann 1993, als Karahasan das umkämpfte Sarajevo verließ und als Gastdozent an der Universität Salzburg und später als Lektor in Göttingen tätig war. Mit einem Stipendium des DAAD ging Karahasan nach Berlin und wurde später Stadtschreiber von Graz, das neben Sarajevo zu seiner Wahlheimat geworden ist. Karahasans Romane „Der östliche Divan“ oder „Tagebuch der Aussiedlung“ wie auch Theaterstücke und Hörspiele plädieren für Toleranz und verbinden Tradition und Moderne sowie Orient und Okzident. Als Brückenbauer zwischen deutschsprachigen Ländern und Bosnien und Herzegowina sowie für sein Engagement für die europäische Verständigung wurde Karahasan mit der Goethe-Medaille geehrt.
Die Festrede anlässlich der Verleihung der Goethe-Medaille hielt Klaus-Dieter Lehmann, Präsident des Goethe-Instituts. Er widmete sie der Zusammenarbeit mit Partnern in Ländern mit eingeschränkter Meinungsfreiheit und staatlichen Kontrollen. Die Goethe-Institute würden in diesen Ländern als Frei- und Dialograum wahrgenommen und seien für unabhängige Intellektuelle und Künstler wichtige Anlaufstationen. Die physische Präsenz eines Goethe-Instituts gewährleiste nicht nur, dass es als Veranstaltungsort und Bildungseinrichtung funktioniere. Es seien Räume, in denen man unbehindert arbeiten, reden und gestalten könne und sich in einem interkulturellen Dialog aktiv austausche. Das Goethe-Institut könne Alternativen aufzeigen und das Bild einer „offenen Gesellschaft“ mit ihren Vorzügen, aber auch mit ihren Problemen zeichnen. Die diesjährigen Preisträger seien nicht nur wichtige Wegbegleiter, sondern auch Wegbereiter für das Goethe-Institut. Sie verbinde eine geistige Verwandtschaft, denn alle drei kämen aus Ländern, in denen die Einheit der geschichtlichen Zeit gebrochen sei, in denen die Gegenwart sich nicht harmonisch mit der Vergangenheit verbinde, sondern bei der die Vergangenheit entrücke, verdunkelt und tabuisiert sei. „Die Preisträger nutzen die Kraft des Wortes, um gesellschaftliche Entwicklungen aufzugreifen und verständlich zu machen, die Vergangenheit aufzuarbeiten und das menschliche Zusammenleben als kulturelle Leistung zu vermitteln“, so Lehmann.
Gemeinsam mit „pèlerinages“ Kunstfest Weimar veranstaltete das Goethe-Institut am Tag vor der Verleihung ein Gespräch mit den drei Preisträgern: Am Montag, den 27. August 2012, diskutierten Irena Veisaitė, Bolat Atabayev und Dževad Karahasan mit Christina von Braun, Kulturwissenschaftlerin und Vize-Präsidentin des Goethe-Instituts, über die kulturelle Kraft des Wortes. Die Veranstaltung fand um 19 Uhr im Goethe- und Schiller-Archiv statt.
Die Goethe-Medaille wurde 1954 vom Vorstand des Goethe-Instituts gestiftet und 1975 von der Bundesrepublik Deutschland als offizieller Orden anerkannt. Von 1992 bis 2008 wurde sie jährlich anlässlich des Todestags Goethes, am 22. März, in Weimar verliehen. 2009 fand die Verleihung erstmals am 28. August, dem Geburtstag Goethes, statt. Ausgezeichnet werden Persönlichkeiten aus dem Ausland, die sich um die Vermittlung der deutschen Sprache und den internationalen Kulturaustausch verdient gemacht haben. Seit der ersten Verleihung 1955 sind insgesamt 329 Persönlichkeiten aus 61 Ländern geehrt worden. Zu den Preisträgern gehören unter anderen Adonis, Daniel Barenboim, Pierre Bourdieu, David Cornwell alias John le Carré, Sir Ernst Gombrich, Lars Gustafsson, Agnés Heller, György Ligeti, Ariane Mnouchkine, Sir Karl Raimund Popper, Jorge Semprún, Billy Wilder oder Helen Wolff.
Die Verleihung wird in enger Partnerschaft mit der Klassik Stiftung Weimar und der Stadt Weimar veranstaltet. Das Gespräch mit den drei Preisträgern ist eine Kooperation mit „pèlerinages“ Kunstfest Weimar.
Hier finden Sie die Pressemappe zum Download:
www.goethe.de/mmo/priv/9324010-STANDARD.pdf
Für Pressefotos senden Sie bitte eine E-Mail an meurer@goethe.de.
Ab Mittwoch, den 29. August, stehen die Bilder unter folgendem Link zum Download bereit:
www.goethe.de/prs/bld/gme/2012/
Umfangreiche Informationen zur Goethe-Medaille finden Sie außerdem unter:
www.goethe.de/goethe-medaille
Hinweis aus aktuellem Anlass: Syrischer Filmproduzent vermisst
Der syrische Filmproduzent und Festivalleiter Orwa Nyrabia wird vermisst. Nach Angaben seiner Familie war er am vergangenen Donnerstag am Flughafen in Damaskus, um nach Kairo zu reisen. Seinen Flug trat er jedoch nicht an. Seitdem sei der Kontakt vollständig abgebrochen. Bei der Verleihung der Goethe-Medaille sagte Klaus-Dieter Lehmann: „Wir sind sehr besorgt um Orwa Nyrabia, der als Vertreter des unabhängigen arabischen Films und Festivalleiter ein wichtiger Kulturschaffender und Partner des Goethe-Instituts ist. Wir alle hoffen, dass er wohlauf ist und bald unversehrt zu seiner Familie zurückkehrt.“ Der 1977 in Syrien geborene Orwa Nyrabia arbeitet als Produzent und Dokumentarfilmer und ist Chefredakteur des 2010 gegründeten und auf Englisch und Arabisch erscheinenden Dokumentarfilmmagazins „Tafaseel“. 2011 war Nyrabia Mitglied der internationalen Dokumentarfilm-Jury bei DOK Leipzig und als Experte auf dem Podium zum Arabischen Frühling vertreten. Nyrabia ist auch Gründer und Direktor des renommierten Dokumentarfilmfestivals DOX BOX in Damaskus, das dort aus Protest gegen die politische Situation in diesem Jahr nicht ausgerichtet wurde. Orwa Nyrabia war außerdem Kurator beim Kurzfilmprojekt „Arab Shorts“, das vom Goethe-Institut 2009 bis 2011 veranstaltet wurde.
Kontakt:
Christoph Mücher
Pressesprecher und
Bereichsleiter Kommunikation
Goethe-Institut Zentrale
Tel.: +49 89 15921 249
muecher@goethe.de
Caroline Meurer
Kommunikation "Goethe-Medaille"
Goethe-Institut
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Tel.: +49 30 25906 406
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