Gefangenenbüchereien
„Bücher öffnen Welten“

Internationale Fachtagung hinter Gittern: Im März 2013 tauschten sich Bibliothekare aus sechs Ländern in der Justizvollzugsanstalt Münster über Grenzen und Perspektiven der Arbeit in Gefangenenbüchereien aus.
Bibliotheken verstehen sich als Garanten für den freien Zugang zu Informationen – für alle Menschen in allen Situationen. Trotzdem kämpfen diejenigen, die bibliothekarische Dienstleistungen für Gefangene anbieten oder verbessern möchten, weltweit gegen erhebliche Widerstände.
Eine professionell geführte Bibliothek mit Fachpersonal und einem nutzergerechten, aktuellen Bestand ist in Gefängnissen keine Selbstverständlichkeit. Die Richtlinien für Gefangenenbüchereien des Weltverbands der Bibliotheken (IFLA) werden nur in wenigen Ländern erfüllt. Auch Deutschland ist da mit nur vier im Justizvollzug tätigen Bibliotheksfachkräften angesichts von rund 200 Gefängnissen rückständig.
Eine Auszeichnung mit Wirkung
In der Justizvollzugsanstalt (JVA) Münster trafen sich vom 18. bis zum 20. März 2013 Bibliothekarinnen und Bibliothekare aus Argentinien, Peru, den USA, Deutschland, Russland und den Palästinensischen Gebieten, um sich über die Situation der Gefangenenbibliotheken auszutauschen. Initiiert wurde die erste internationale Fachtagung dieser Art von der Gefangenenbücherei der JVA Münster, die 2007 in Deutschland zur „Bibliothek des Jahres“ gewählt worden ist. Diese Auszeichnung hat weite Kreise gezogen. Der Leiter der Bücherei, Gerhard Peschers, wurde zu Referaten und Gefängnisbesuchen in verschiedene Länder eingeladen. Angeregt durch die Vortragsreisen ergriffen Goethe-Institute an mehreren dieser Orte Initiativen für Bibliotheksprojekte im Justizvollzug. Darüber fand nun in Münster ein gemeinsamer Austausch statt.
Bibliothekarische Fortbildungen für Gefängnislehrer
Über Initiativen aus Argentiniens Provinz Córdoba berichtete Lara Crespo, die die Bibliothek des dortigen Goethe-Instituts leitet. Sie hat ein „Netzwerk Gefangenbibliotheken“ initiiert und damit erstmals Vertreter des Bildungsministeriums, der Bibliothekarschule und des Justizvollzugs regelmäßig an einem Tisch versammelt. Aus dieser Zusammenarbeit ist ein Programm für Leseförderung für Gefangene entstanden; am Institut in Córdoba selbst wurden 17 Lehrerinnen und Lehrer, die in den Gefängnissen der Provinz tätig sind, zwei Jahre lang zu Bibliotheksassistenten fortgebildet.
Auch in der brasilianischen Provinz Rio de Janeiro wurde eine Initiativgruppe zur Verbesserung der Gefangenenbüchereien in Kooperation mit dem Goethe-Institut gebildet. Allerdings sind die zuständigen Ministerien nicht überall offen für neue Initiativen. In Russland etwa muss es zunächst darum gehen, überhaupt auf das Thema aufmerksam zu machen. Dafür planen der Leiter der Informations- und Bibliotheksarbeit am Goethe-Institut in Moskau, Markus Kedziora, und der Leiter der dortigen Bibliothek Iwan Uspenskij die Ausstellung Libertree – Bücherbäume überbrücken Mauern.
Leseförderung für Frauen in Haft
Iliana Revoredo, die Leiterin der Bibliothek am Goethe-Institut in Lima, präsentierte ein Projekt zur Leseförderung, das in der Frauenhaftanstalt von Chorrillos durchgeführt werden soll. Projektpartner sind das Studienzentrum der Haftanstalt sowie die peruanische Nationalbibliothek. Ab Juli 2013 sollen die Bibliotheksräume renoviert und mit neuen Möbeln ausgestattet werden.
Für 2014 ist eine Aktualisierung und Erweiterung des Buchbestands geplant, damit die Bibliothek einen besseren Beitrag zur Resozialisierung der Insassinnen leisten kann. Eine zentrale Aufgabe besteht darüber hinaus darin, vertrauenswürdige Partner zu finden, die das Projekt nach Abschluss weiterführen.
Bücherkisten für Palästinensische Gebiete
Auch Samira Safadi, die Leiterin der Informations- und Bibliotheksarbeit am Goethe-Institut in Ramallah, beschrieb vor allem die Grenzen ihres Engagements für Gefangene. Begleitet wurde sie von Mahmoud Safadi, der 18 Jahre als Häftling in israelischen Gefängnissen verbracht und 14 Jahre Gefangenenbüchereien betreut hat. Er erzählte sehr eindrücklich von der enormen Bedeutung, die Bücher für die Insassen haben.
In den letzten Jahren erreichten 150 Medien vom Goethe-Institut über ein Projekt mit dem Freedom Theatre aus Dschenin eine Frauenhaftanstalt unter palästinensischer Verwaltung. 450 Medien wurden der palästinensischen Organisation Addameer Prisoners Support and Human Rights übermittelt, die den Transfer der Bücher in Zusammenarbeit mit dem Internationalen Komitee vom Roten Kreuz zu den palästinensischen Gefangenen in Israel organisieren sollte. Dabei stoßen Organisationen wie Addameer und andere Menschenrechtsorganisationen immer wieder auf erhebliche Schwierigkeiten, Bücher in die Gefängnisse zu liefern. Nun ist Samira Safadi auf der Suche nach neuen Partnern.
Darin liegt wohl ohnehin der Schlüssel für einen nachhaltigen Erfolg. So sieht es jedenfalls Vibeke Lehmann. Sie hat in Münster als Ko-Autorin die IFLA-Richtlinien für Gefangenenbüchereien vorgestellt und auch von ihren Praxiserfahrungen in den USA berichtet – etwa von der Einführung eines Intranets für Gefangene oder das Eltern-Kind-Projekt Breaking barriers with books. In den meisten Ländern stehen und fallen positive Entwicklungen bei Gefangenbibliotheken jedoch mit dem Engagement Einzelner; es fehlt an verbindlicher Unterstützung der zuständigen Behörden.