Nestor
Deutsches Kompetenznetzwerk für digitale Langzeitarchivierung

Die Langzeitarchivierung von digitalen Objekten bedarf angesichts des rasanten technologischen Wandels ständiger Aufmerksamkeit. Im Netzwerk Nestor wird deutschlandweit das Know-how dafür gesammelt.
Als weise und wohlmeinend wird der greise Nestor im neunten Gesang der Odyssee beschrieben; sein Rat gilt den Griechen in Troja als trefflich und hilfreich. Wie die antike Figur versteht sich auch das Kompetenznetzwerk Nestor als fachkundiger Berater in strategischen Fragen – wenngleich diese aus einem anderen Jahrtausend stammen.
Das Akronym Nestor steht für „Network of Expertise in long-term Storage and availability of digital Resources in Germany“. Zu Deutsch: Nestor kümmert sich um Fragen der Langzeitarchivierung und -verfügbarkeit digitaler Ressourcen in Deutschland.
Spartenübergreifender Zusammenschluss
In der föderalen Bundesrepublik gibt es keine zentrale Behörde, die für die digitale Langzeitarchivierung des kulturellen Erbes zuständig ist. Im Jahr 2003 ist Nestor als ein vom Bundesministerium für Bildung und Forschung gefördertes Projekt gestartet. Heute wird das Kompetenznetzwerk von 18 Partnerinstitutionen – Bibliotheken, Museen, Archiven und Forschungseinrichtungen – getragen.
„Wir haben uns zusammengeschlossen, um uns auszutauschen und gemeinsam Probleme anzugehen“, erläutert Armin Straube, der die Nestor-Geschäftsstelle in der Deutschen Nationalbibliothek in Frankfurt am Main leitet. „Den Kern unserer Arbeit bilden drei Schwerpunkte: Wir vernetzen Institutionen, die mit dem Thema Langzeitarchivierung zu tun haben, wir versuchen, gemeinsame Standards zu schaffen, und wir qualifizieren zum Beispiel Bibliothekare und Archivare im Rahmen von Fortbildungen und Workshops.“
Weiterentwicklung von Strategien
Probleme der Langzeitarchivierung löst man nicht ein für alle Mal. „Die großen Herausforderungen sind, dass wir es zum einen mit den vielfältigsten digitalen Objekten zu tun haben, und sich zum anderen sowohl die Software- als auch die Hardware-Umgebung ständig wandeln“, sagt Armin Straube. So beobachten die Experten die technologischen Entwicklungen und gleichen sie mit den Objekten ab, die es aufzubewahren gilt.
Sind Probleme absehbar – etwa, dass Filme in naher Zukunft nicht mehr abgespielt werden können –, so müssen Maßnahmen ergriffen werden. Dafür gibt es zwei grundlegende Strategien: die Migration, bei der ein veraltetes Objekt in eine neue Form gebracht wird, und die Emulation, bei der die ursprüngliche Software- oder Hardware-Umgebung nachgebaut wird.
Bei Nestor werden praktische Erfahrungen und Forschungsergebnisse zur digitalen Langzeitarchivierung gesammelt, aufbereitet und in die Fachöffentlichkeit hineingetragen. „Leider erreichen wir bisher mit unseren Workshops, Veröffentlichungen und Informationsangeboten nur einen Teil der vielen Einrichtungen, die in Deutschland akut mit dem Problem befasst sind. Unser Ziel ist es, dass die Werkzeuge und Empfehlungen, die wir entwickeln, auch in der Masse der Institutionen implementiert werden.“
Internationale Vernetzung
Nestor vernetzt nicht nur Institutionen in Deutschland, sondern ist auch Teil internationaler Initiativen. Ein zentrales Forum für den Austausch von Know-how ist das Projekt Aparsen, hinter dem die europäische Alliance for Permanent Access steht. Dieser Zusammenschluss aus Nationalbibliotheken, Archiven und Netzwerken fungiert als eine Art Dachorganisation. Eine zentrale Rolle spielt auch die Organisation Open Planets Foundation. Sie ist aus einem EU-Projekt hervorgegangen und treibt technische Entwicklungen im Bereich der digitalen Langzeitarchivierung voran.
„Eines unserer Vorbilder – vor allem, was die Menge an Aktivitäten angeht – ist sicherlich die britische Digital Preservation Coalition (DPC), mit der wir eng zusammenarbeiten“, sagt Armin Straube. Doch auch wenn die DPC deutlich mehr Mitglieder und damit mehr Mittel hat, muss sich Nestor nicht verstecken. „International beachtet wird etwa unsere Entwicklung eines Zertifizierungsverfahrens.“
Nestor hat einen umfangreichen Kriterienkatalog dazu erstellt, was ein vertrauenswürdiges digitales Langzeitarchiv ausmacht. „Wir haben festgelegt, welche Elemente institutionell und technisch zusammenkommen müssen, damit die in einem Langzeitarchiv gespeicherten Objekte eine gute Chance haben, in Zukunft erhalten zu werden.“ Institutionen können ihr Archiv entsprechend prüfen lassen und – falls es den Kriterien gerecht wird – das Nestor-Siegel erwerben.
Der mythische Nestor soll im Übrigen drei Menschenalter gelebt haben. Eine lange Zeit. Wenn die Nestor-Experten von „Langzeit“ sprechen, geht es ihnen nicht um konkrete Zahlen. „Es ist unseriös, Garantien zu geben – etwa darüber, dass ein bestimmtes Objekt in 50 Jahren noch darstellbar ist. Wir können nur die Voraussetzungen schaffen, dass es in Zukunft einfacher sein wird, den nächsten Schritt in der Anpassung an den technologischen Wandel zu tun.“