Partizipation 2.0
Alter Wein in neuen Schläuchen?

Stadtbibliothek Bremen auf Facebook (Screenshot)
| © Stadtbibliothek Bremen
Die Bedürfnisse und Wünsche der Nutzer stehen bei Bibliotheken seit eh und je klar im Fokus. Das Web 2.0 bietet den Nutzern nun einfache und schnelle Möglichkeiten, mitzureden und mitzuentscheiden.
Das Thema Partizipation, also die Beteiligung der Nutzerinnen und Nutzer an Entscheidungen struktureller, organisatorischer und inhaltlicher Art, hat in Bibliotheken eine lange Tradition. Öffentliche und Wissenschaftliche Bibliotheken suchen auf allen möglichen Kanälen den Kontakt zu ihren Nutzern, um ihre Angebote auf deren Bedürfnisse zuzuschneiden.
Abstimmung mit Interessenvertretern
„Die enge Bindung an die Nutzerwünsche ist ein altes Gebot für eine gut funktionierende Bibliothek. Darum werben wir um Mitbestimmung“, erklärt Dr. Beate Tröger, die Direktorin der Universitäts- und Landesbibliothek (ULB) Münster. „Und dafür haben wir tradierte Kommunikationswege.“ Da ist zunächst der Kontakt mit den Fachbereichen; mit den Lehrenden und Forschenden dort erfolgt etwa eine enge Abstimmung über die Bestandsentwicklung und das Angebot an Schulungen. Darüber hinaus finden regelmäßig Gespräche mit der Studierendenvertretung statt. „Das alles sind alte, bewährte Strukturen, über die wir Rückmeldungen zur grundsätzlichen Ausrichtung der Bibliothek bekommen.“In Öffentlichen Bibliotheken gestaltet sich die Mitbestimmung etwas komplexer. „Da wir ein ausgesprochen heterogenes Publikum haben, ist die Ansprache unserer Kundinnen und Kunden eigentlich immer nur in begrenzten Zielgruppen möglich“, sagt Barbara Lison, die Direktorin der Stadtbibliothek Bremen. „So laden wir etwa anlassbezogen Zielgruppenvertretungen wie den Behindertenverband, den Ausländer- oder Seniorenbeirat ein, um bestimmte Fragestellungen zu erörtern.“
Umfragen und Aktionen
Ein gut eingeführtes Instrument als Grundlage für die Partizipation sind Nutzer-Umfragen. Ein klassisches Thema dafür ist in beiden Bibliothekstypen die Gestaltung der Öffnungszeiten. Solche Umfragen finden vor Ort sowie über die Bibliotheks-Homepage statt, wobei übers Internet in kurzer Zeit deutlich mehr Antworten kommen.„Alle paar Jahre gibt es etwa in Nordrhein-Westfalen eine Online-Befragung der Nutzer aller Universitätsbibliotheken. Zwischendurch machen viele Bibliotheken größere oder – zum Beispiel mit Hilfe von Pop-ups – kleine Befragungen“, berichtet Beate Tröger. Daneben kann man über alle Websites Anregungen und Kritik loswerden. „Wobei auf Wunsch der Nutzer zusätzlich auch immer noch die Papierform – also Lob- und Kritik-Karten oder ausliegende Notizbücher – genutzt werden.“
Vor allem Öffentliche Bibliotheken entwickeln spezielle Aktionen zum Thema Mitbestimmung, wie das Projekt „Wir haben Geburtstag, wünscht euch was!“ zum 111-jährigen Bestehen der Stadtbibliothek Bremen, das sich an Grundschulklassen richtete. „Zwei Wünsche haben wir in unseren Kinderbibliotheken realisiert: ein Puppentheater und einen ‚Raum der Stille’. Wobei wir auf Letzteres wirklich nicht selbst gekommen wären“, meint Barbara Lison. Ein weiteres Beispiel: die Aktion Kaufrausch, bei der Jugendliche mit einem bestimmten Budget selbst Medien für die Bremer Bibliothek kaufen durften.
Mitsprache bei der Bestandentwicklung
Immer schon hatten Bibliotheksnutzer die Möglichkeit, Anschaffungsvorschläge zu äußern. „Darüber hinaus bestimmen sie unseren Bestand auch implizit mit. Denn bei einer bestimmten Anzahl von Vormerkungen werden automatisch Nachbestellungen der Medien ausgelöst“, erläutert Barbara Lison.Viele Wissenschaftliche Bibliotheken erproben auch die Patron Driven Acquisition (PDA), ein Modell, bei dem die Nutzer selbst den Bestellvorgang für ihre Bibliothek auslösen. „Auch hier gilt: Wir haben nun zwar ein neues Medium, aber die Struktur der Mitbestimmung dahinter ist ein positiver alter Hut“, meint Beate Tröger. „Bei PDA ist es übrigens genauso wie bei anderen Formen der Mitbestimmung: Wir fühlen uns keinesfalls überrannt. Die Nutzer müssen eher ermuntert werden, sich stärker einzubringen.“
Facebook und Co.
Viele Bibliotheken sind auf Facebook, sie twittern oder senden RSS-Feeds für einen intensiven Kontakt zu den Nutzern. „Erstaunlicherweise hat unsere jüngste Befragung ergeben, dass die Studierenden die Homepage als entscheidendes Medium zur Kommunikation mit der Bibliothek sehen“, berichtet die ULB-Leiterin. „Ich glaube, der allgemeine Wunsch, seine Bedürfnisse zu artikulieren, ist groß. Aber er richtet sich auf kein bestimmtes Medium; es muss nicht Facebook sein.“Beide Bibliothekarinnen sind sich einig, dass die Mitbestimmung ein zentrales Thema ist und bleibt – mit oder ohne Web 2.0. Die sozialen Medien erlauben ihrer Meinung nach keinen grundlegend neuen Weg der Partizipation, sondern vor allem einen quantitativen Sprung. „Aber auch das hat durchaus große Auswirkungen auf die Selbstwahrnehmung einer Bibliothek“, sagt Beate Tröger. „Zu wissen, was die eigene Klientel erwartet, ist ein deutlich besseres Gefühl, als im Nebel zu stochern.“