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Archivierung von Netzpublikationen
Für eine neue Logik des Sammelns

Deutsche Nationalbibliothek
Deutsche Nationalbibliothek | Foto (Ausschnitt): © Deutsche Nationalbibliothek, Stephan Jockel

Von jedem in Deutschland veröffentlichten Werk gehen zwei Exemplare an die Deutsche Nationalbibliothek. Seit 2006 gilt das auch für Publikationen im Internet. Welche Probleme dabei auftreten, schildert der Jurist und Bibliothekar Eric Steinhauer.

Prof. Steinhauer, wer in Deutschland ein Buch veröffentlicht, ist gesetzlich dazu verpflichtet, der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) zwei Exemplare, sogenannte Pflichtexemplare, unentgeltlich zuzuschicken. Seit 2006 hat die Nationalbibliothek auch den Auftrag, im Internet erschienene Medien auf diese Weise zu archivieren. Warum ist das bis heute problematisch?

Bei der Bundestagsdebatte 2006, als das Nationalbibliotheksgesetz erlassen worden ist, hat man überwiegend über den Namen gestritten. Aber das eigentlich Revolutionäre dieses Gesetzentwurfes, dass die Nationalbibliothek auch für Netzpublikationen zuständig sein sollte, war unstrittig. Dabei sind Netzpublikationen in rechtlicher Hinsicht ganz anders zu betrachten als Druckschriften, Schallplatten oder CDs. Bei diesen Medien gibt es immer einen konkreten Gegenstand, der an die Bibliothek „abgeliefert“ wird. Dadurch wird die DNB Eigentümerin dieses Exemplars und das Verbreitungsrecht im Sinne des Urheberrechts ist erschöpft. Das heißt, der Urheber kann nicht mehr bestimmen, was mit diesem „abgelieferten“ Medium geschieht. Bei Netzpublikationen ist jedoch kein körperlicher Datenträger vorhanden, sondern nur ein Datenstrom. Wenn ich der DNB eine Datei schicke, dann erzeuge ich eine Kopie dieses Werkes auf deren System. Nutzungsrechte sind damit aber nicht verbunden. Und das ist problematisch für die DNB – erst recht, wenn die Bibliothek von sich aus große Teile des Internets sichern soll.

Welchen Auftrag hat die DNB und kann sie diesen erfüllen?

Über die Pflichtabgabe hinaus soll die Nationalbibliothek laut Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek das deutschsprachige Internet in periodischen Abständen archivieren. Das kann die Nationalbibliothek aber nicht machen, weil sie keine Befugnisse im Urheberrecht hat, diese Vervielfältigungen, die dabei notwendigerweise entstehen, anzufertigen. Rein rechtlich müsste die Bibliothek zuvor alle Website-Betreiber um Erlaubnis fragen, was natürlich nicht möglich ist. Darüber hinaus ist im Internet oft überhaupt nicht mehr zu unterscheiden, welche Publikationen für die Archivierung relevant sind. Für zeitgeschichtlich Interessierte ist es vielleicht wichtig zu wissen, was zu bestimmten Themen auf Massenmedien wie Facebook oder Twitter diskutiert wird. All dies müsste man theoretisch auch archivieren.

Lücken im Onlinebereich

Die Nationalbibliothek soll das gesamte deutschsprachige Internet archivieren? Wie erkennt die DNB überhaupt, was zum deutschsprachigen Internet zählt?

Eine Druckschrift hat immer einen klaren Verlagsort. Im Internet ist das anders. Selbst alle Internetseiten mit „.de“ als Entscheidungskriterium zu nehmen, funktioniert nicht, weil Domains völlig frei wählbar sind. Was ist, wenn ein Website-Betreiber eine „.com“-Adresse wählt? Dann fällt er schon nicht mehr darunter. Herauszufinden, was zum deutschsprachigen Internet zählt, ist ein administrativer Aufwand, der kaum zu leisten ist. Die Logik des Sammelns von Netzpublikationen scheint mir noch relativ undurchdacht zu sein.

Was schlagen Sie vor?

Ich könnte mir ein gestuftes Sammeln vorstellen. So könnten Netzveröffentlichungen, die funktional herkömmlichen Druckschriften entsprechen, über die Pflichtabgabe gesammelt werden. Das geschieht bereits und lässt sich einfach bewerkstelligen, weil meist Verlage dahinter stehen. Es gibt aber auch reine Online-Publikationen, Blogs zum Beispiel. Einen Blog kann jeder von heute auf morgen aufmachen. Soll jetzt jeder Blog gesichert werden? Meiner Meinung nach könnten die Nationalbibliothek oder die Landesbibliotheken, die ebenfalls relevante Internetinhalte sichern sollen, einige hundert repräsentative Blogs archivieren. Die Betreiber müssten dann entsprechend informiert werden und abliefern. Dann entstehen aber Lücken in den Sammlungen der Bibliotheken. Und eine Internetseite ist vielleicht schon nach zwei, drei Jahren nicht mehr zugänglich und damit für immer für das kollektive Gedächtnis verloren, falls sie keiner gespeichert hat. Deshalb wäre es sinnvoll, wenn man eine dritte Stufe des Sammelns einführen würde, die zunächst alles sichert, ohne die Materialien zu sichten. Daraus könnten Gedächtniseinrichtungen wie Bibliotheken und Archive Publikationen, die sie vermissen, in ihre Sammlung integrieren.

Reform des Urheberrechts

Im Februar 2017 hat das Justizministerium einen Entwurf zur Reform des Urheberrechts eingebracht. Kann die Situation für die Deutsche Nationalbibliothek dadurch verbessert werden?

Eine Änderung in dem Gesetzentwurf betrifft eine Ergänzung des Nationalbibliotheksgesetzes. Die Nationalbibliothek soll jetzt endlich die notwendigen urheberrechtlichen Befugnisse bekommen, um Netzpublikationen automatisiert und systematisch archivieren zu können. Nach über zehn Jahren hat das Justizministerium hier Handlungsbedarf gesehen und eine entsprechende Änderung vorgeschlagen. Der Gesetzentwurf löst im Wesentlichen die aktuellen Probleme. Es gibt ein paar Details, über die müsste man noch diskutieren, beispielsweise die Frage, wie man gespeicherte Internetseiten zugänglich macht. Nach der Logik des Gesetzes wäre das nur für nicht kommerzielle Zwecke möglich. Das finde ich ungeschickt. Für mich ist aber vor allem wichtig, dass wir mit dem Sammeln beginnen können. Wenn man die Publikationen erst einmal archivieren darf, dann ist die Frage der Nutzung zweitranging. Das Material ist auf jeden Fall gesichert.
 

Prof. Dr. Eric Steinhauer Foto (Ausschnitt): © Privat Prof. Dr. Eric Steinhauer ist Dezernent für Medienbearbeitung an der Universitätsbibliothek Hagen und Honorarprofessor am Institut für Bibliotheks- und Informationswissenschaft an der Humboldt-Universität zu Berlin. Er setzt sich für Reformen der deutschen Bibliotheksgesetzgebung und Open Access ein. 

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