Katharina Hacker
Gedanken für zwischendurch
Essays müssen nicht lang sein. Manchmal sind sie ein Anfang, um weiterdenken zu können. Katharina Hackers Minutenessays passen zwischen zwei Haltestellen, aber auch zwischen zwei Zustände – den vor und den nach dem Lesen.
Von Holger Moos X!
In
„Darf ich dir das Sie anbieten?“ fallen manche dieser Kurzessays wie Aphorismen aus. Dann wieder denkt Katharina Hacker über einzelne Wörter nach: Wer hat sich etwa schon einmal Gedanken darüber gemacht, weshalb man von seichten Dingen nichts, von simplen Dingen aber sehr viel lernen kann?
Andere Wörter haben im Lauf der Geschichte eine negative Bedeutung erhalten, so etwa das Wörtchen nett, das heutzutage nur noch als der kleine Bruder oder die kleine Schwester von scheiße gilt. Im Hebräischen ist man weniger grob, dort heißt es: „Nett nennt man ein hässliches Kind.“
Sterben, wie geht das?
Auch Tiere kommen vor, Hunde etwa als Vorbilder in punkto Wiedersehensfreude. Ein Text ist Kuscheltieren gewidmet, denen wir zur Aufmerksamkeit verpflichtet sein sollten. So können wir etwas lernen, gerade weil sie tote Dinge ohne jegliche Reaktionsmöglichkeit sind: „An ihnen lernt man deswegen, daß der Respekt, den wir anderen zollen, sich an uns selber mißt.“Beim Nachdenken über die Freiheit tun wir gut daran, nicht nur die eigene Freiheit im Blick zu haben: „Die Lebendigkeit der anderen heißt immer auch: sie tun nicht, was ich will.“ Sogar über den Tod sinniert Hacker. Denn schließlich kann man alles im Leben üben, nur den Tod nicht. Oder – in den Worten der neunzigjährigen Psychoanalytikerin Anna Maria Joki: „Ich habe schon so viel gemacht in meinem Leben. Aber gestorben bin ich noch nie. Ich weiß nicht, wie das geht!“
Die Eltern siezen
Ein anderer Kurzessay erinnert uns daran, dass wir niemanden retten müssen und wohl auch dazu gar nicht in der Lage sind. Nichtsdestotrotz können wir der Verzweiflung die Zähne zeigen, indem wir einander beistehen. Dann kann Folgendes passieren: „Manchmal hält, wegen eines einzigen Wortes, wegen eines einzigen Satzes, das Unglück den Atem an und muß schweigen, während wir lachen.“Und dann ist da noch der titelgebende Wunsch, manchen Menschen nicht mehr zu duzen, sondern, wieder zum Sie zu zurückzukehren, um von der achtlosen Nähe zur größeren Achtung der Ferne zu wechseln – das bleibt allerdings bisweilen ein schwer umsetzbarer Wunsch: „Selbst meine Eltern würde ich noch siezen, wenn's nicht zu spät wäre, sie bald neunzig, ich über fünfzig Jahre alt.“
Katharina Hacker hat mit diesem schmalen Bändchen ein Werk vorgelegt, das sie selbst braucht, wie sie in einem Interview mit dem Bücher-Magazin Die Literaturagenten zugab. Aber auch uns hat sie einen kleinen Alltagsbegleiter geschenkt – voller Gedankensnacks zum Weiterdenken.
Berlin: Berenberg, 2019. 112 S.
ISBN: 978-3-946334-57-6