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Markus Thielemann
Eine entromantisierte Wildnis

Mia und ihr Vater leben im Wald. Sie kennt die Einsamkeit, kann jagen und weiß, wie man sich draußen durchschlägt. Dann trifft sie Sören und stellt vieles in Frage. Markus Thielemann wirft in seinem Debütroman einen besonderen Blick auf das Verhältnis von Mensch und Natur.

Von Natascha Holstein X!

Thielemann: Zwischen den Kiefern © Katapult „Sie erwachten im Zwielicht, verborgen in ihren Mulden. Kein Kohlefeuer verriet ihr Nachtlager. Nur ihr Atemdunst wogte fein über den Waldboden, die morgendliche Kälte ein Überbleibsel des Frühlings.“ So beginnt Zwischen den Kiefern und entlässt die Leser*innen mit einer poetischen Beschreibung in die Geschichte. Es ist nicht nur das Debüt des Autors Markus Thielemann, sondern auch das erste Buch, das der Katapult Verlag nicht aus eigener Produktion veröffentlicht. Während sich heutzutage immer noch überraschend wenige Romane mit dem Klimawandel und der Umwelt beschäftigen, beleuchtet der Autor diese Themen aus einem besonderen Blickwinkel.

Ohne Romantik

Ein Aussteigerleben im Wald, fernab der schnelllebigen und konsumorientierten Zivilisation. Für einige Menschen hat die Vorstellung davon fast etwas Romantisches: Mitten in der Natur auf sich alleine gestellt sein. Für Mia ist das jedoch keine Fantasie, sondern die Realität. Sie kennt nichts anderes. Sie ist im Wald aufgewachsen, irgendwo in Norddeutschland, an der Seite ihres Vaters Kasimir. Sie bauen sich immer wieder neue Lager, bleiben nie lange an einer Stelle, jagen ihr Essen selbst. Auf einmal kommt Sören dazu, ein Jugendlicher, der ein ganz anderes Leben gewohnt ist. Über Sören erfährt man im Verlauf des Buches mehr, Kapitel aus dem Wald wechseln sich immer wieder mit Beschreibungen von Sörens vorherigem Leben ab. Sie zeichnen ein Bild von einem gelangweilten und unzufriedenen jungen Mann, der sich auf die Internetplattform 4chan flüchtet, einer Zeitarbeit nach der anderen nachgeht.

Kasimir ist wenig begeistert, als Mia irgendwann Sören ins Lager bringt. Er eröffnet ihr, dass der Junge nun bei ihnen bleiben müsse und nicht mehr fortgehen kann, sie sei für ihn verantwortlich. Dann verschwindet Kasimir. Mia bringt Sören das Leben im Wald bei, Dinge, die für sie selbstverständlich sind. Irgendwann nähern die beiden sich an, der Roman ähnelt kurz einer Coming-of-Age-Geschichte. Dann taucht Kasimir wieder auf. Er predigt den beiden Jugendlichen seine Auffassung von der Welt und den degenerierten Menschen, die sich voller Profitgier die Natur untertan gemacht haben. Sören ist begeistert, während Mia kaum noch zuhört und das Leben, das sie führen, immer skeptischer betrachtet. Sören inhaliert Kasimirs Theorien und Weisheiten, Mia jedoch scheint sich im Verlaufe der zweiten Hälfte des Romans zunehmend nach einem „gewöhnlichen“ Leben zu sehnen.

Fundamentale Kritik

Das Debüt von Thielemann könnte sich mit kaum aktuellere Themen befassen: Umwelt, Massentierhaltung, Konsum- und Wachstumskritik. Diese schweren Themen werden so bedrückend ausgemalt, dass man fast verstehen kann, weshalb das Aussteigerleben als einziger Ausweg erscheint. Das schafft Thielemann vor allem auch mit seinen dichten Beschreibungen. Die Szenen im Wald werden so detailreich poetisch erklärt und mit Worten bebildert, dass der oder die Leser*in sich direkt im Geschehen wieder findet: „Auf der Lichtung vor ihr ruhte goldenes Licht. Die Farnwedel zart und starr, die Blätter an den Brombeerranken speckig glänzend.“

In Zwischen den Kiefern geht es nicht alleine darum, wie man sich durchschlägt, es ist keine rührende Geschichte darüber, was Kasimir in den Wald verschlagen hat oder was mit Mias Mutter passiert ist. Man erfährt sehr wenig über das Leben vor dem Dasein im Wald. Thielemann zeigt auf, in welche Richtung sich die Menschheit entwickelt hat. Es ist eine Kritik an dem verschwenderischen Lebensstil. Diese Kritik äußert sich nicht nur in Kasimirs Reden, sondern ist auch an den Aktionen der Protagonist*innen ablesbar: Mia, Kasimir und Sören lassen Hühner frei, setzen Felder in Brand, zerschneiden Bewässerungssysteme. Sie sagen der kommerziellen Landwirtschaft den Kampf an. Bis alles zum Ende des Buches hin und obwohl Mia immer mehr zu zweifeln beginnt, ins Extreme kippt.
 
Rosinenpicker © Goethe-Institut / Illustration: Tobias Schrank Markus Thielemann: Zwischen den Kiefern
Greifswald: Katapult-Verlag, 2021. 304 S.
ISBN: 978-3-948923-26-6

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