Weltkulturerbestätten
Welche Funktion hat Kulturerbe?

Die UNESCO hat es sich zum Ziel gemacht, auf den Wert von Kulturgütern aufmerksam zu machen und sich für deren Erhalt einzusetzen. Welterbestätten sollen Lernorte sein und das Bewusstsein für kulturelle Identität schärfen. Zerstörungen durch Massentourismus und Kulturvandalismus bilden allerdings die Kehrseite der Medaille.
Von Nadine Berghausen X!
Sogenannte Bucket-Lists aufzusetzen ist in Zeiten von Social Media sehr beliebt: all jene Dinge auflisten, die man im Leben erlebt oder gesehen haben möchte. Dazu zählen häufig Reiseorte. Doch welche Ziele sind besonders sehenswürdig – welche Stadt gilt es zu besuchen, welchen Nationalpark zu durchforsten und welches Denkmal zu bestaunen? Die UNESCO-Weltkulturerbeliste wird gerne als Orientierungshilfe genutzt, denn viele Tourist*innen verstehen die Auszeichnung als Gütesiegel: Hier können wir Kultur erleben, die wichtig und bedeutend ist.
Dass das nicht nur positive Folgen hat, wird auf Social-Media-Plattformen wie Instagram ebenfalls deutlich. Immer wieder werden Bilder von Weltkulturerbestätten gepostet, die hinter den Menschenmassen kaum sichtbar sind. Die antike Stätte Ephesos in der Ägäis büßt ihren antiken Charme ein, wenn Tourist*innen mit ihren bunten Sonnenschirmen anderen Besucher*innen die Sicht versperren. In Venedig wimmelt nicht nur der Markusplatz vor Tourist*innen und die Seufzerbrücke ächzt unter der Last der Besucher*innen – auch das ökologische Gleichgewicht der Lagune ist durch die einlaufenden Kreuzfahrtschiffe bedroht.
Die antike Stadt Ephesos war in der Antike eine Metropole der Ägäischen Region. Heute ist es eine der größten und meistbesuchten Ruinenstätten der Welt. | Foto: © picture alliance/ Jens Kalaene/ dpa-Zentralbild/dpa
Geschichte und kulturelle Identität
Wenn aufgrund des Prädikats Weltkulturerbe Touristenmassen die Stätten fluten, kann das auch zu Lasten der Orte und deren Bewohner*innen gehen. Dies ist natürlich keineswegs die ursprüngliche Intention des Weltkulturerbekomitees, das Kulturerbe als schützenswerten Lernort verstanden sehen möchte. Ganz im Gegenteil: Ziel der UNESCO ist es, den außergewöhnlichen Wert der Stätten über Generationen hinweg zu erhalten. Fremdenverkehr wird in erster Linie als unterstützender Faktor angesehen, denn Tourismus spült Geld in die lokale Wirtschaft und macht es für Staaten attraktiver, in den Erhalt ihres Kulturerbes zu investieren.
Dass es wichtig ist, Kulturerbe zu erhalten, darüber sind sich alle der knapp 200 Staaten einig, die bis heute die UNESCO-Welterbekonvention unterschrieben haben. Ein Grund dafür ist, dass diese Stätten Identität stiften: Sie sind Zeugnisse von Kultur und Geschichte einer Gesellschaft oder eines Ortes. Während einige Welterbestätten auch vor der Auszeichnung schon weltbekannt waren, wird die Bedeutung anderer Kulturgüter erst durch die UNESCO hervorgehoben. Das gilt vor allem für immaterielles Kulturerbe: Dazu zählen Dialekte und Bräuche, aber auch Tänze, Volksfeste oder Sagen. So macht die UNESCO-Listung beispielsweise auf die 900 Jahre alte Ötztaler Mundart in Österreich aufmerksam. Dieser Dialekt wird als das prägendste Element der lokalen Identität verstanden, den meisten Besucher*innen Tirols dürfte diese gelebte Tradition aber bisher unbekannt gewesen sein.
Kulturerbe als Politikum
Die große Bedeutung kulturellen Erbes für gesellschaftliche oder religiöse Identität kann jedoch auch dazu führen, dass es gezielt Objekt der Zerstörung wird. Wenn in politischen oder religiösen Konflikten das Kulturgut des Gegners zerstört wird, geschieht dies häufig mit der Intention, dessen kulturelle Identität zu beschädigen. Ein Beispiel ist die Zerstörung der antiken Oasenstadt Palmyra im syrischen Bürgerkrieg durch die Terrormiliz des sogenannten „Islamischen Staats“, die diese als „unislamisch“ betrachtete. Auch die demonstrative Zerstörung der Brücke Stari Most im Bosnienkrieg 1993 – dem Wahrzeichens der Stadt Mostar, die nicht nur den kroatisch und den serbisch geprägten Teil der Stadt verband, sondern auch eine symbolische Brücke zwischen Ost und West darstellte – war ein dem Schutz von Kulturgut nicht eben förderliches Nebenprodukt politischer Konflikte. Diese Vorkommnisse müssen nicht direkt mit der Ernennung zum Kulturerbe zusammenhängen, schließlich fielen Kulturstätten schon weit vor der Gründung der UNESCO politischen Auseinandersetzungen zum Opfer – sie können dadurch aber verstärkt werden.
Ruinen im syrischen Palmyra. | Foto (Zuschnitt): © picture alliance /dpa/ Mikhail Voskresenskiy
Gleichzeitig kann die Auszeichnung als Kulturerbe aber auch als politisches Instrument genutzt werden, um Kulturgüter in Konflikten zu schützen – und dabei neue Konflikte auslösen. Auf die Ernennung der Altstadt von Hebron zum Weltkulturerbe beispielsweise reagierte der Staat Israel mit Empörung. Die Stadt Hebron ist seit 1998 zweigeteilt: Einen Teil kontrolliert die Palästinensische Autonomiebehörde, den anderen Israel. Die Altstadt ist von beiden Parteien umkämpft, da sich hier die Ibrahimi-Moschee befindet, die für Juden, Christen und Muslime gleichermaßen ein spirituell bedeutender Ort ist. Die Palästinensische Autonomiebehörde hatte 2017 in einem Notfallantrag einen besonderen Schutzstatus für ihren Teil Hebrons gefordert, weil sie die Altstadt zunehmend durch jüdische Siedler zerstört sah. Bei der Bekanntgabe der Aufnahme Hebrons auf die Weltkulturerbeliste wurde die Altstadt von der UNESCO als „islamische Stadt“ bezeichnet – was Israel als starken Affront auffasste. Das Land verließ Ende 2018, gemeinsam mit den USA, die UNESCO.
Der Innenraum der Ibrahimi Moschee in Hebron im Westjordanland: Die israelische Regierung fasste die Bezeichnung Hebrons als „islamische Stadt“ als Affront auf. | Foto: © picture alliance/ Stefanie Järkel/ dpa
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