Maxi Obexer
Deutschland
Gibt es ein universelles Freiheitsprinzip?
Freiheit ist weltweit ein gemeinsamer Raum, der von allen, die ihn bewohnen, beleben und erzählen, gefüllt werden muss. Wir müssen zu einem gemeinsamen Standpunkt hin- oder zurückfinden.
Von Maxi Obexer X!
Europas Weg ins Freie
Ein Tier, das in Gefangenschaft gerät, sucht zuerst den Weg ins Freie. So groß ist die Bedrängnis, dass jedes noch so große Stück Käse nichts mehr zählt. Die Nahrung wird zweitrangig; frei zu sein ist mehr noch als zu überleben, frei zu sein ist, am Leben zu sein. Das Leben selbst ist ein Ringen um die Freiheit.
Auch wir Menschen sind fortwährend in Gefahr, unserer Freiheit beraubt zu werden. Sind bedrängt und verletzbar dort, wo wir eingeschränkt werden, wo der freie Raum enger wird, der öffentliche wie der persönliche. Und wie auch die Tiere reagieren wir meist erst dann, wenn dies bereits passiert ist, wenn wir bemerken, dass uns der freie Raum im Denken und im Handeln geraubt wurde. Die größte Kunst scheint es, zeitgemäß zu reagieren und zuerst herauszufinden, von wo, von welchen Mächten ausgehend die Freiheit in Gefahr gerät.
Mit jedem Jahrzehnt und seinen umwälzenden neuen Technologien offenbaren sich neue Möglichkeiten des Freiheitsentzugs. Schnell in die Hand genommen von den alten wie den neuen despotischen Zugriffen. Nach der Trump-Wahl zeigte sich der Weltöffentlichkeit, wie rasend schnell sich die Methoden vervielfältigen und in welcher Virulenz sie bereits zum Einsatz gekommen waren. Noch vor jedem Verbot einer freien Meinungsäußerung manipulieren sie bereits dort, wo Denken genuin entsteht. Und selbst die freie Meinungsäußerung erfährt eine Perversion angesichts der Verunglimpfungen und der Beschimpfungen von anderen und wird so selbst zum Instrument der Beschneidung.
Von hier aus möchte ich beschreiben, warum wir dringend auf einen gemeinsamen Standpunkt für die Freiheit hin- oder zurückfinden sollten. Ich setze im Denken und in der Wahrnehmung an, dort, wo entschieden wird, wie das Freie in unseren Köpfen heimisch ist oder wie sehr es gerade verstellt wird. Die seit Jahren herabrieselnden Begriffe wie „Angst“ und „Krise“, die Abgrenzung gegen – und der unverblümte Hass auf – „die anderen“, darin die offen oder versteckt durchgereichte Behauptung von getrennten Welten, haben wie pausenlos betriebene Sägen die menschliche Gemeinschaft tief zerschnitten. Die politischen, medialen, sprachlichen Narrative verfolgen eine offene Politik des Trennens und Unterscheidens, ihnen leisten die Bürokratien Folge mit entsprechenden Begrifflichkeiten, Kategorien und Typologien. Das Denken in Unterschieden drängt sich auf, noch bevor auch nur ein gemeinsames Moment aufblitzen könnte; und die Unterschiede selbst werden wie unüberwindbare Grenzen gehandelt. Wir nehmen nicht mehr Menschen wahr, sondern vielmehr ihre Einordnung in Gruppen, Zugehörigkeiten, nationale oder kulturelle Identitäten. Doch es gibt nicht DEN Migranten, nicht DEN Geflüchteten, nicht DEN Ausländer. Und eine Identität verrät nichts über ihr Gegenüber, nichts darüber, wie und wo sie mit ihm verbunden ist und wie sich Leben und Mensch-Sein fortwährend wandeln und verwandeln. Sondern schließt all das aus.
Dabei sind wir mehr denn je vernetzt, verbunden, verflochten mit und verliebt in Menschen auf der ganzen Welt. Mit dem Bewusstsein, wie kostbar und einzigartig es ist, angesichts der räumlichen und zeitlichen Ausdehnung des Universums für die kurze Zeit eines menschlichen Lebens physisch und geistig tief zusammenzutreffen. Und unsere Freunde, die heute in ihrem Schreiben, Denken und Handeln real bedroht werden, sind nicht nur Freunde im übertragenen Sinne. Wir teilen das Leben, die Gedanken, das Hoffen und das Lieben. Es verbindet uns mehr, als uns trennt. Die Freiheit ist heute der gemeinsame Raum, den es zu füllen gilt. Von allen, die ihn bewohnen und beleben und erzählen, europaweit, weltweit.
Weiterführende Literatur:
Francois Julllien: „Es gibt keine kulturelle Identität“. Suhrkamp Verlag 2017.
Èdouard Glissant: „Kultur und Identität“ Ansätze zu einer Poetik der Vielfalt.“ Wunderhorn 2005.
Folgefrage:
„Was verbindet uns?“
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