Despina Zefkili
Griechenland
Wenn Informations- und Meinungsfreiheit kollektive Herausforderungen sind: Wer oder wo ist das Kollektiv?
Durch die Bildung von Koalitionen, die soziale Gerechtigkeit, Wirtschaft, Gleichheit, kulturelle, ökologische und technologische Aspekte miteinander verbinden, können wir die Möglichkeiten für offenere und demokratischere digitale Gesellschaften bekräftigen.
Von Despina Zefkili X!
Zusammenschluss statt Netzwerk
In ihrer Arbeit „Hardcore Digital Detox“ beschreibt die Internet-Künstlerin und Autorin Miao Ying, wie wir Cookies durch stark widersprüchliches Online-Verhalten auf die falsche Fährte locken können, etwa indem wir Dinge anklicken, die wir eigentlich überhaupt nicht mögen, oder indem wir Computer oder Smartphones mit Freundinnen und Freunden oder, noch besser, mit Menschen tauschen, deren Ansichten wir so gar nicht teilen.
Doch bei der digitalen Überwachung und der marktwirtschaftlichen Ausbeutung von Daten geht es um mehr als um verbesserte individuelle Datenschutzoptionen für Einzelne. Die Diskussion über die Grundrechte im Ökosystem Internet sollte in einem Zusammenhang geführt werden, der die grundsätzlichen Konflikte im Modus Operandi von Einzelpersonen, Staaten, Institutionen und anderen Strukturen berücksichtigt. Die „Schatten-Verfassung“, die im Internet gilt, ist eine neue Herrschaftsarchitektur, die über unserer Kultur, unseren Werten und unserer Wirtschaft errichtet wurde, ein Geflecht verschiedener Kontrollmechanismen. Vielleicht kann der Kampf um eine Internet-Verfassung ideologische Kämpfe in Gang setzen sowie die Vorstellung dekonstruieren, dass das Ideal einer globalen Zivilgesellschaft und einer erweiterten Demokratie bereits erreicht sei. Das Fehlen einer Internet-Verfassung ist eine Provokation, die den Relativismus, den Reduktionismus und die massive Begrenztheit eines viel zu allgemeinen Humanitarismus, eines globalen Rechtssystems, einer generischen Menschenrechtspolitik und so weiter entlarvt. Die Forderung einer Internet-Verfassung könnte gleichzeitig ein Plädoyer sein für ein neues politisches Engagement.
Mit dem Projekt „Freiraum“ wirft die Temporary Academy of Arts (PAT) die Frage nach der künstlerischen Freiheit auf, angesichts einer Politik, die sich stark des kulturellen Feldes bedient, und zeigt Möglichkeiten zur Bündelung von Initiativen, die sich nachhaltig für eine bestimmte Sache engagieren und damit einen Gegensatz bilden zu Netzwerken, die auf der Ökonomie der günstigen Gelegenheitsfreundschaft basieren.
Wenn wir uns Koalitionen überlegen, in denen sowohl wirtschaftliche, aber eben auch kulturelle, ökologische, technologische sowie Aspekte der sozialen Gerechtigkeit und der Gleichberechtigung bedacht werden, und wenn wir darüber hinaus nicht aus dem Blick verlieren, wie das Sammeln und Auswerten von Daten zu einer historisch institutionalisierten Form der Diskriminierung und Ausgrenzung geworden ist, was die Teilhabe- und Gestaltungsspielräume bestimmter Menschen einschränkt, finden wir vielleicht neue Wege, wie sich eine offenere und demokratischere digitale Gesellschaft organisieren lassen könnte.
Weiterführende Literatur:
Gene Ray: „Culture Industry and the Administration of Terror“. In: Gerald Raunig, Gene Ray und Ulf Wuggenig (Hrsg.): Critique of Creativity: Precarity, Subjectivity and Resistance in the ‘Creative Industries’. London 2011 (MayFlyBooks).
Elpida Karaba, Glykeria Stathopoulou, Despina Zefkili, Temporary Academy of Arts: „The limits of art as an economy of resistance. Was that a pat or a slap?“. In: Ausstellungskatalog zur 6. Athens Biennale ANTI, Athen 2018.
Folgefrage:
Welche neuen, nachhaltigen Koalitionen lassen sich schmieden, welche Form eines bindenden gemeinschaftlichen Engagements braucht es, um die berufliche Situation und die Freiheit von Kunstschaffenden zu verbessern?