Im Laufe des Reformationsjahres 2017 kommen in dem Dossier „Gegenwarten Reformieren“ Trendsetter und Vordenker mit ihren persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen von Wandel und Innovation zu Wort. Wo liegen Potenziale und Notwendigkeiten für gegenwärtige und zukunftsorientierte „Reformationen“?
Den dringendsten Bedarf an Reformation und Innovation sehe ich in der Finanztheorie. Bisher lebten wir in einer Welt der Produktion, der Arbeit, der Ware, die nach folgenden Gleichungen funktioniert:
Ein Mensch stellt seine Lebenszeit zur Verfügung, um ein Produkt herzustellen, mit dem der Besitzer der Produktionsmittel Profite machen kann. Nun bewegen wir uns aber von einer Arbeitsgesellschaft zu einer Wissensgesellschaft, in der die Produkte Daten sind, die von den Nutzern hergestellt werden und von denen die sogenannten Provider profitieren. Nach der Logik der analogen Produktion müssten die Hersteller von Daten wie früher die Hersteller von Waren vergütet werden. Weil das nicht der Fall ist, können die Provider heute innerhalb weniger Jahre zu Milliardären werden.
Der Fehler liegt darin, dass in der Datenwelt, die eine Welt der Distribution ist, sich immer noch die Logik der Produktion spiegelt. In der Wissensgesellschaft muss der Erwerb von Wissen finanziell entlohnt werden. Es ist falsch, dass ein Studierender für sein Studium bezahlt, denn er erwirbt Wissen, das er später der Gemeinschaft als Produkt zur Verfügung stellt, z.B. als Arzt. Studierende sollen während ihres Studiums ein Gehalt bekommen. Auch MuseumsbesucherInnen und BibliotheksbesucherInnen etc. sollen für ihren Wissenserwerb bezahlt werden. Dementsprechend müssen auch die Wissensangebote der Museen ausgerichtet sein. Die spielenden Berufe, von Fußballern bis Hollywood-Schauspielern, sind heute disproportional überbezahlt. Sie dienen der Unterhaltung.
Die helfenden Berufe, von Hebammen bis Altenpflegern, sind heute disproportional unterbezahlt. Sie sind notwendig für den Erhalt des Lebens. Auch das muss durch eine ökonomische Reform geändert werden.
Hieß es früher „Arbeitszeit produziert Geld“, hieß es später Warenproduktion mittels Waren – so der Titel eines Buches von Piero Sraffa (1968), heißt es heute „Geld produziert Geld“ (Finanzwirtschaft), wird es morgen heißen „Wissen produziert Geld“.
Wenn sie mich fragen, welche Hindernisse überwunden werden müssen, um sich mit innovativen Impulsen durchzusetzen, wären
Fähigkeiten zu nennen, die richtigen Lehrer und Ideen zu finden; Ablehnung und Widerstände zu überwinden sowie schnell zu prozessieren, schnell zu denken, schnell zu reden, schnell zu handeln.
Biografie
Professor Dr. Peter Weibel leitet seit Januar 1999 das Zentrum für Kunst und Medientechnologie in Karlsruhe In zahlreichen Schriften und Vorträgen setzt sich Peter Weibel für eine Kunst und eine Kunstgeschichtsschreibung ein, die Technikgeschichte und Wissenschaftsgeschichte berücksichtigt. In der Lehre und als langjähriger Leiter von Institutionen wie der Ars Electronica, Linz, des Instituts für Neue Medien in Frankfurt am Main, und des Zentrums für Kunst und Medientechnologie (ZKM) Karlsruhe beeinflusst er insbesondere die europäische Szene der sogenannten „Computerkunst“ durch Konferenzen, Ausstellungen und Publikationen. (Wikipedia)