Im Laufe des Reformationsjahres 2017 kommen in dem Dossier „Gegenwarten Reformieren“ Trendsetter und Vordenker mit ihren persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen von Wandel und Innovation zu Wort. Wo liegen Potenziale und Notwendigkeiten für gegenwärtige und zukunftsorientierte „Reformationen“?
Eine im Bereich der Musik wünschenswerte Reform sollte das zeitgenössische Musiktheater betreffen, ein Genre, das den Prozess der kollektiven Reflektion über unsere gesellschaftliche Realität bedeutend vorantreiben und so die Basis für einen konstruktiven Dialog zwischen Kunstschaffenden und Künstlern einerseits und einem breiten, immer stärker einbezogenen Publikum andererseits bilden könnte. Die jüngsten Produktionen haben gezeigt, über welch innovatives und kreatives Potential das zeitgenössische europäische Musiktheater verfügt, und wie es neben Komponisten, Autorenteams und Interpreten auch – mittels verschiedener Formen der aktiven Beteiligung – das breite Publikum zu involvieren vermag.
Als Aufführungsorte musiktheatralischer Veranstaltungen wären bislang für diesen Zweck eher unübliche Strukturen des urbanen Raums denkbar, wie beispielsweise verlassene Lagerhallen und Hangars oder auch historische und archäologische Fundstätten, Orte also, die so – je nach Gegenstand der Inszenierung – neue Bedeutung und neuen dramaturgischen Wert erlangen würden.
Heute, da weite Bereiche unseres Zusammenlebens von Dialogmangel und einer stetig wachsenden solipsistischen Tendenz beeinträchtigt sind, könnte ein innovatives Musiktheater die Basis für Analyse und Reflektion schaffen – im Zuge des Niedergangs der klassischen Formen politischer Kommunikation und der immer schwierigeren Interpretation der gesellschaftlichen Verhältnisse sowie der zunehmenden Verdinglichung der zwischenmenschlichen Beziehungen.
Dank der wiederentdeckten Flexibilität und des Potentials musikalischer Ausdrucksformen im Theater, kommt der Stimme erneut eine grundlegende Bedeutung zu: Als prähistorische Urquelle des klanglichen Ausdrucks und Mittelpunkt des innovativen zeitgenössischen Musiktheaters ist sie Gegenstand außerordentlicher Kompositionen zahlreicher Stilrichtungen und mit ihren vielfältigen Klangformen eignet sie sich perfekt als Medium für eine neue Art der zwischenmenschlichen Kommunikation.
Wünschenswert ist demnach ein innovatives Konzept für eine allgemein zugängliche, nicht ausschließlich der akademischen Elite vorbehaltene musikalische Bildung, welche auf eine breite aktive Teilnahme sowie auf die Vielfalt an Stilmitteln und musikalischen Ausdrucksformen ausgerichtet ist und somit jedem von uns die Möglichkeit bietet, konstruktiv am künstlerischen Gestaltungsprozess mitzuwirken.
Biographie
Lucia Ronchetti, Komponistin, wurde 1963 in Rom geboren. Ihr Schaffen reicht von Opern und Kammeropern, über Chor-Opern für Ensembles mit Laienchören bis hin zu musiktheatralischen Experimenten ohne Bühne.
Die neue Kammeroper Rivale von Lucia Ronchetti ist ein Auftragswerk der Staatsoper Unter den Linden Berlin und wird Anfang Oktober 2017 uraufgeführt. Mit der Wiederbelebung und der literarisch-musikalischen Transformation eines Librettos aus dem 18. Jahrhundert und mit ihrer überaus präsenten Thematik bemüht sich die Oper Rivale
deutlich um Aktualität.