Im Laufe des Reformationsjahres 2017 kommen in dem Dossier „Gegenwarten Reformieren“ Trendsetter und Vordenker mit ihren persönlichen Erfahrungen und Vorstellungen von Wandel und Innovation zu Wort. Wo liegen Potenziale und Notwendigkeiten für gegenwärtige und zukunftsorientierte „Reformationen“?
Der Luther’sche Reformationsgedanke erscheint vor dem Hintergrund der damaligen Polarisierung der Gesellschaft aktueller denn je: Tiefgreifende Ereignisse wie der Brexit und die drohende Gefahr des aufkommenden Nationalismus stellen die heutige Welt in ähnlicher Weise vor große Herausforderungen. Auch von Museums- und Kunstwelt ist daher ein reformerisches Umdenken gefordert. Nicht nur die Identität Europas und die ihr zugrundeliegenden demokratischen Werte scheinen auf dem Prüfstand; auch das freie und künstlerische Denken ist zunehmend weltweit gefährdet.
Europäische Museen stehen durch ihre mangelnde Selbstreflexion und teilweise ausgeprägte Selbstgefälligkeit sowie aus der Wirtschaft unhinterfragt übernommene Marketingstrategien vor dem Problem, große Teile eines potentiellen Publikums nicht mehr zu erreichen. Wir sollten jedoch zu unserem eigentlichen Auftrag zurückkehren. Dazu gehört, mit den Mitteln von Kunst und Kultur zu einer weltoffenen und toleranten Gesellschaft beizutragen, in der Museen als Orte der gemeinsamen Reflexion, des dynamischen Austauschs und der wechselseitigen Aufklärung definiert werden.
Großes Potenzial für eine gegenwärtige Reformation im Kulturbereich liegt daher meiner Meinung in folgenden Zielen:
- Museen müssen Plattformen bilden, indem sie Erkenntnisse aus einem direkteren, nicht hierarchischen Kontakt mit den Menschen gewinnen und deren Wissen aufnehmen.
- Museen sollten ihre Bestände verstärkt als interkulturelles Gemeingut anerkennen. Gleichzeitig muss der Besitzanspruch an Kunst und Kulturgütern überdacht und das internationale Publikum hierfür grundsätzlich sensibilisiert werden.
- Museen werden sich an die globalisierte und medial vernetzte Welt anpassen müssen und sollten allerdings zum jetzigen Zeitpunkt viel aktiver mit ihren Mitteln Innovationen vorantreiben und damit die Zukunft in positiver Weise mitgestalten.
Biographie
Marion Ackermann (geb. 1965) ist seit November 2016 Generaldirektorin der 15 Museen der Staatlichen Kunstsammlungen Dresden. Sie studierte in Göttingen, Kassel, Wien und München Kunstgeschichte, Germanistik und Geschichte und lehrte u. a. an der Kunstakademie in München. Bevor sie 2009 als Direktorin der Stiftung Kunstsammlung Nordrhein-Westfalen nach Düsseldorf ging, war sie von 2003 bis 2009 Direktorin des Kunstmuseum Stuttgart.