„Do-It-Yourself“: Krise und Monopole
Überlegungen zum kulturellen Imaginären und zu kulturellen Infrastrukturen

In Griechenland haben sich in den 2000er-Jahren, besonders unter Auswirkung der Wirtschaftskrise ab 2010, neue experimentelle kulturelle Praktiken etabliert. Gigi Argyropoulou wirft einen Blick auf die entstandenen Prozesse der Improvisation, der Transformation und der daraus resultierenden wechselseitigen Beziehungen. Wie entwickeln und verändern sich neu entstandene improvisierte Praktiken? Welche Schlüsse können wir daraus ziehen?
Von Gigi Argyropoulou X!
Imaginäre Vorstellungswelten, Stadtpläne und Gesetze werden häufig von neu entstehenden Bewegungen, improvisierten Nutzungen und selbstorganisierten Praktiken in Frage gestellt. Im Kontext der griechischen Stadtlandschaft existieren Geplantes und Ungeplantes, staatliche Politik und Widerstand, Mikro-Arrangements und verordnete Agenden nebeneinander und stellen sich zugleich in Frage. Aufgrund fehlender nachhaltiger Infrastrukturen und zentraler Planungen beteiligen sich die Bürger*innen häufig aktiv selbst, um die Gestaltung von Raum und städtischem Leben praktisch zu hinterfragen. Dem Stadtgeographen Tim Ingold zufolge lautet die erste Frage, die man sich stellen muss, um sich in der Umwelt zu orientieren: Wo bin ich?
Diese Frage der Situiertheit stellt sich immer wieder, wenn Bürger*innen sowie Kulturschaffende improvisieren und versuchen, sich in einer sich verändernden Landschaft neu zu orientieren. In den letzten 20 Jahren und während der radikalen und vielfältigen Veränderungen der griechischen Kultur-, Stadt- und Soziallandschaft scheinen diese Verhandlung mit „Verengungen“ und diese kritische Situiertheit als neu entstehende Praktiken funktioniert zu haben, die immer wieder selbstgebaute Strukturen, Räume und Praktiken hervorgebracht haben. Diese Neuerfindung von Methoden und Praktiken kann sogar räumlich diskutiert werden, da sich imaginäre Vorstellungswelten und Infrastrukturen ständig neu zu beeinflussen scheinen. Das Gefühl der Ungewissheit in einer zunehmend instabilen und unsicheren Landschaft hat sich jedoch allmählich auf solche improvisierten Praktiken ausgewirkt, die anfällig und diskontinuierlich zu bleiben schienen.
Der Beginn von Do-It-Yourself
Zu Beginn der 2000er-Jahre tauchte eine Reihe von experimentellen Praktiken junger Theatermacher*innen an der Peripherie des Systems auf. Da sie keinen Zugang zu etablierten Kulturstätten und Produktionsmechanismen hatten, arbeiteten diese jungen Theatermacher*innen oft gemeinschaftlich und siedelten ihre Arbeit an unerwarteten Orten, unbekannten und vorgefundenen Räumen an. Sie erfanden eigene Methoden zur Förderung, Finanzierung und Inszenierung ihrer Arbeit und schufen so ihre eigenen Do-It-Yourself-Ökonomien. Im ersten Jahrzehnt des neuen Jahrtausends schienen offizielle Institutionen und staatliche Strukturen von diesen neuen Praktiken beeinflusst worden zu sein, während sich das kulturelle Imaginäre allmählich zu verändern begann. Gleichzeitig versäumten es die Kultursysteme und -infrastrukturen geeignete Formen der nachhaltigen Unterstützung oder eine Kulturpolitik zu entwickeln, die auf diese veränderte Situation reagierten. Die Arbeitsbedingungen wurden somit immer prekärer, und die Landschaft des expandierenden Kultursektors schien allmählich von Vielfalt, Überproduktion und Verwirrung beherrscht zu werden.Die Bedeutung von Kultur in Krisenzeiten
Vor diesem Hintergrund stellte die Wirtschaftskrise ab 2010 die Vorstellungen von Fortschritt, Miteinander und Wirksamkeit in Frage, und in den darstellenden Künsten entstand eine Reihe von Kollektiven. Mit der Verschärfung der Krise brachen die sozialen Rahmenbedingungen, Finanzierungsstrukturen und Infrastrukturen zusammen; in diesem Klima erschienen kollektive Do-It-Yourself-Strukturen und Solidaritätsnetzwerke als Gegenmittel zur extremen Sparpolitik. Die Entstehung von Bürgerversammlungen, Krankenstationen, Sozialküchen, Medikamentenbörsen und Rechtshilfezentren, die von den Bürger*innen selbst organisiert wurden, bot neue Denkansätze für die politische Beteiligung. Da die begrenzten finanziellen Mittel für die darstellenden Künste wegfielen, schienen Kulturschaffende zugleich die Grenzen und Ziele ihrer Praxis zu hinterfragen. Das Auftauchen von Do-It-Yourself-Performances an neuen Orten, in Wohnungen und an öffentlichen Räumen schuf wiederum neue Arbeitsökonomien. Verschiedene kulturelle oder politische Experimente stellten in Frage, was als „angemessene“ politische oder kulturelle Praxis galt. Es kam zu einer Rückkehr zu Formen des politischen Theaters, zu direkten aktivistischen Interventionen und kulturkritischen Aktionen. Ein auffälliges Beispiel war die Reaktivierung und Besetzung des Embros-Theaters durch das Mavili-Kollektiv im November 2011. Mit dieser Initiative wurde versucht, als Reaktion auf die Kulturlandschaft des letzten Jahrzehnts praktische Strukturen zu schaffen und die Vorstellungen von Inklusion und dem, was Kultur in Krisenzeiten leisten kann, zu hinterfragen. Die Do-It-Yourself-Strukturen in Embros und anderen neu entstehenden kulturellen und besetzten Räumen in Athen experimentierten mit theoretischen und praktischen Verfahrensweisen, improvisierten, erprobten Performance-Werkzeuge und -Strukturen und brachten verschiedene Zuschauergruppen in unerwarteten, überraschenden und informellen Formen zusammen.Private Investoren als Lösung
Die Do-It-Yourself-Infrastruktur der ersten Jahre der Krise blieb prekär und konnte sich nicht zu einer Überlebensstrategie in der Krisenlandschaft entwickeln. Gleichzeitig zog Athen viele Kulturschaffende, Künstler*innen und Schriftsteller*innen an, die diese sich verändernde Kulturlandschaft beobachten oder dokumentieren wollten. Einige wenige wohlhabende private Institutionen und Stiftungen boten dem griechischen Publikum ein reichhaltiges kulturelles Programm und griechischen Kulturschaffenden eine der wenigen Möglichkeiten, für ihre Arbeit entlohnt zu werden. Die mangelnde Funktionsfähigkeit früherer staatlicher Infrastrukturen wurde nun von scheinbar effizienten privaten Strukturen umgangen, die ein Top-Down-Kuratorenmanagement, soziales Gespür und eine funktionsfähige Logistik demonstrierten. In diesen Jahren begann sich – im Einklang mit allgemeinen globalen Trends – eine neue Vorstellung zu entwickeln, wonach private Infrastrukturen das einzige Gegenmittel gegen Krise und Sparmaßnahmen darstellten.Als Reaktion auf diese veränderte Landschaft fand im Sommer 2016 in Athen eine Do-It-Yourself-Performance-Biennale mit dem Titel No Future statt. Das Projekt, das in einem besetzten kulturellen Raum mitten in der Krise stattfand, war offen für verschiedene Teilnehmer*innen und ging immer wieder neu auf die dringenden Bedürfnisse der Umgebung ein. Diese Veranstaltung war aber nicht ausreichend, um die kulturelle Landschaft während der Krise nachhaltig zu verändern und Machtsysteme zu unterbrechen. Sie diente vielmehr als Übung, wie eine kollektive Do-it-yourself-Infrastruktur funktionieren und die kulturelle Produktion und das kulturelle Imaginäre beeinflussen könnte.
Neu entstehende Praktiken der Improvisation bieten ephemere Strategien der Einführung von „Verengungen“ dazwischen. Momente, die in Bezug auf die Einschränkungen und Bedürfnisse einer bestimmten Landschaft, früherer Aktionen und Methoden, entstehen und gemeinsame Wünsche haben das Potenzial kollektive Wege aufzuzeigen, um Infrastrukturen und imaginäre Vorstellungswelten unter praktischen Gesichtspunkten zu überdenken. Da solche Praktiken der Improvisation sich weigern zu akzeptieren, dass „die Dinge nun einmal so gemacht werden“, können sie neue Strukturen, Taktiken und Formen hervorbringen. Es lässt sich jedoch nicht leugnen, dass diese Praktiken ihrem Wesen nach ebenfalls machtlos, prekär und unzureichend sind. In diesen düsteren Zeiten der Monopole, abgeleiteter Faschismen und allgegenwärtiger Prekarität, könnte die Untersuchung solcher Momente der Unordnung - ungeachtet ihrer Orte der Entstehung -und ihrer kritischen Dynamik neue Wege eröffnen, um sich mit Fragen der Effektivität, der Situiertheit und der Kontinuität zu befassen und politische Methoden sowie kuratorische und performative Werkzeuge für strategische Interventionen in Machtsysteme in Frage zu stellen.
Dieser Beitrag wurde gegenüber der Originalversion, die im Journal of Greek Media and Culture (Band 3, Nummer 2) unter dem Titel „Dramaturgien des Wandels: Griechisches Theater heute“ erschien, geändert und überarbeitet.