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Afrikas Wirtschaftspotenzial
Die Kreativbranche braucht ein Dorf

Die Produktion lokaler Filme nimmt in Namibia enorm zu. So wie der neueste Film von Joel Kaudife Haikali „Invisibles. Kauna.Pawa“ (2019), der es in die engere Auswahl für den Oscar schaffte. Der Film begleitet zwei gestrandete Jugendliche durch das Outback Namibias, auf der Suche nach ihrem Platz in der Landschaft einer Post-Apartheid-Nation, die sich auch in ihrer Psyche wiederspiegelt.
Die Produktion lokaler Filme nimmt in Namibia enorm zu. So wie der neueste Film von Joel Kaudife Haikali „Invisibles. Kauna.Pawa“ (2019), der es in die engere Auswahl für den Oscar schaffte. Der Film begleitet zwei gestrandete Jugendliche durch das Outback Namibias, auf der Suche nach ihrem Platz in der Landschaft einer Post-Apartheid-Nation, die sich auch in ihrer Psyche wiederspiegelt. | Foto (Ausschnitt): © Joe Vision (Production Company), Karl Terblanche (Still Photographer)

Welches wirtschaftliche Potenzial hat die afrikanische Kreativwirtschaft? Der namibische Filmemacher und Kreativeunternehmer Joel Kaudife Haikali spricht über seine eigenen Erfahrungen auf dem namibischen Markt und seinen gemeinsam erstellten Creative Industry Guide, der darauf abzielt, afrikanische Kreative und Investoren für pan-afrikanische Kooperationen zusammenzubringen.

Von Joel Kaudife Haikali X!

Ein bekanntes afrikanisches Sprichwort lautet: „Man braucht ein ganzes Dorf, um ein Kind aufzuziehen“. Dieser Satz würdigt die Verantwortlichkeiten, die mehrere Personen übernehmen müssen, um ein Kind zu einem respektvollen und anständigen Menschen heranzuziehen. Das gleiche gilt auch für die Kreativbranche: „Man braucht ein ganzes Dorf, um die Kreativbranche zum Erfolg zu führen“. Nur so war es mir als Kreativunternehmer in Namibia ermöglicht, in das Filmgeschäft einzusteigen, sowohl mit ausländischen als auch mit einheimischen Filmen, und den „Creative Industry Guide“ mitzugestalten. Unsere Vision ist es, die Kulturbranche auf dem gesamten afrikanischen Kontinent zu einer Erfolgsgeschichte zu machen – einer Geschichte, die dort beginnt, wo wir sind, in Namibia. 

In Namibia fand vor über zehn Jahren ein langsamer, aber stetiger Wandel im Denken und Handeln statt, der durch zahlreiche private Initiativen, federführend aus der Filmindustrie, angeregt wurde, um das Bewusstsein für das wirtschaftliche Potenzial der Kreativwirtschaft zu schärfen. Die Branche ist von Natur aus widerstandsfähig, sodass auch ohne den richtigen Rahmen oder vorhandene Infrastruktur die positiven Auswirkungen der Kreativwirtschaft zu spüren sind. Sie ist auch das geistige und sinnstiftende Zentrum der Gesellschaft. Dieser eher abstrakte Aspekt, degradierte die Künste lange Zeit zu einer Disziplin, die in vielen Entwicklungsländern nicht als wirtschaftlich sinnvoll angesehen wurde.

Im Laufe der Jahre entstanden in Namibia zahlreiche Spielfilme, Fernsehserien, Dokumentarfilme, Fotoshootings sowie lokale und internationale Fernsehewerbung. So klein das Land auch sein mag, es beweist immer wieder, dass es in der Lage ist, hochkarätige Blockbuster-Filme zu drehen. Einige Beispiele dafür sind: Mad Max: Fury Road (2012), 10.000 B.C. (2008), Der Flug des Phoenix (2004), The Cell (2000) und Die Mumie (2017). Es ist lohnend zu erwähnen, dass diese Produktionen zusammen über 900 Millionen N$, das sind etwa 50 Millionen Euro, einbrachten, die die lokale Wirtschaft förderten und Tausenden von Namibier*innen eine Arbeitsstelle verschafften. Es steht außer Frage, dass sich die namibische Filmindustrie auf dem Höhepunkt ihres ungenutzten Potenzials befindet. Allerdings kurbeln internationale Produktionen nicht automatisch auch das Wachstum der lokalen Branche an. Erst müssen notwendige Strukturen geschaffen werden, damit die lokale Filmindustrie und ihre Dienstleister auch angemessen profitieren können.

Obwohl die namibische Filmbranche relativ klein ist, hat auch die Produktion lokaler Filme enorm zugenommen, seitdem das Parlament im Jahr 2001 die Namibian Film Commission (NFC) gründete. Die Aufgabe der NFC ist es, die Entwicklung der nationalen Filmindustrie zu unterstützen und Namibia als Drehort zu fördern. Private Akteure, wie Filmproduzent*innen, haben sich seit 2001 unter dem Dach der Filmmakers Association of Namibia (FAN) organisiert, um geschlossen auftreten zu können.

Bisher hat Namibia mehr als 65 lokal finanzierte Filme im Gesamtwert von über 160 Millionen N$, in etwa 10 Millionen Euro, produziert, die in die Realisierung des renommierten und preisgekrönten Spielfilms von 2007 Namibia – Der Kampf um die Freiheit flossen. Dieser Film, der als erstes wirklich panafrikanisches Filmprojekt gefeiert wurde, brachte Fähigkeiten aus ganz Afrika und der Diaspora zusammen und ebnete den Weg für weitere namibische Filme, die international und lokal erfolgreich waren. Namibische Filmemacher haben es geschafft, international Anerkennung zu erlangen, indem sie mit ihren Filmen Preise gewonnen haben, wie die Oscar-nominierten Werke The White Line (2019), Kapana (2020) und Land of The Brave (2019) sowie die in die engere Auswahl gekommenen Werke wie Invisibles. KaunaPawa (2019), Baxu and The Giant (2018), Katutura (2016), Paths to Freedom (2014), TRY (2012), Taste of Rain (2012) und My Father’s Son (2010).

Der Creative Industry Guide

Zusammenarbeit ist für die Kreativbranche von entscheidender Bedeutung, da viele Produktionsunternehmen mit einer Fragmentierung von Informationen und Dienstleistungen konfrontiert sind. Dies beansprucht mehr Produktionszeit und erhöht letztendlich auch die Kosten. Die Bewältigung dieser Herausforderungen durch die Bereitstellung zeitnaher und genauer Informationen treibt die Branche voran.

Im Jahr 2018 wurde daher der erste Namibian Creative Industry Guide (CIG) herausgegeben, um kontextbezogene Informationen über das wirtschaftliche Potenzial des Kreativsektors sowie eine umfassende Auflistung der Kreativschaffenden in Namibia bereitzustellen. Die Veröffentlichung  dieses Leitfadens erfolgte in Zusammenarbeit mit dem National Art Council Namibias (NACN), der Namibia Film Kommission, Joe Vision Production und zahlreichen Kulturschaffenden.

Nach der ersten Ausgabe des Creative Industry Guide (CIG) im Jahr 2018 verlagerte sich das Gespräch von der Kunstindustrie zur Kreativwirtschaft, was eher ein wirtschaftlicher Imperativ ist. Namibia führt das Gespräch über kreatives Unternehmertum und das wirtschaftliche Potenzial des Sektors, und die CIG ist eine der wenigen verfügbaren Ressourcen auf dem Kontinent, um Unternehmen und andere wichtige Interessengruppen zu informieren.
  • Launch-Foto TAPZ Foto (Ausschnitt): © Willem Vrey Photography
    Launch-Foto TAPZ
  • BTS Ein Platz in der Sonne - Film Set von Joel Haikali Foto (Ausschnitt): © Joel Haikali
    BTS Ein Platz in der Sonne - Film Set von Joel Haikali
  • BTS Ein Platz in der Sonne - Film Set von Joel Haikali Foto (Ausschnitt): © Joel Haikali
    BTS Ein Platz in der Sonne - Film Set von Joel Haikali
  • „Komesho Gathering“ Foto (Ausschnitt): © Goethe-Institut Namibia
    „Komesho Gathering“
  • „Komesho Gathering“ Foto (Ausschnitt): © Goethe-Institut Namibia
    „Komesho Gathering“

… und dann kam COVID-19

Als wir in Namibia in den Lockdown gingen, konnte mithilfe des Leitfadens leicht mit Kreativunternehmern Kontakt aufgenommen werden, um sich einen Überblick darüber zu verschaffen, wie stark die Kreativwirtschaft von der COVID-19-Krise betroffen war. Dies war möglich, da dieser ein Netzwerk von Kreativunternehmern vereinte, mit denen problemlos eine Onlineumfrage durchgeführt werden konnte. Die Ergebnisse waren von unschätzbarem Wert und wurden beispielsweise von der NACN genutzt, die bereits ein strategisch wichtiger Partner für unsere Initiative war, um erfolgreich einen COVID-Hilfsfonds für den kreativen Kultursektor im Jahr 2020 auf den Weg zu bringen.

Die Mehrheit der 200 Befragten aus verschiedenen kreativen Disziplinen gab an, dass sie in der Lage gewesen wären, ihre Werke über das Internet zu verkaufen, wenn sie über die notwendige Infrastruktur verfügt hätten. Zu dieser Infrastruktur gehören unter anderem eine zuverlässige und erschwingliche Internetverbindung, geeignete Zahlungs-Gateways und Apps. Daher muss der Creative Industry Guide von einer Website zu einer Plattform aufsteigen, um kreativen Unternehmern zu helfen, die ihren Marktzugang ausbauen möchten, indem sie die Präsenzzeit reduzieren und die Reichweite und Zugänglichkeit ihrer Dienstleistungen und Produkte erhöhen. Kreativunternehmer aus Namibia sind nicht grundsätzlich online präsent und daher oft nicht „auffindbar“. Es gibt kaum genug Daten darüber, wie und wo Kreativunternehmen tätig sind und welche Produkte und Dienstleistungen sie anbieten. Es ist sehr schwierig, ihre Erfolgsbilanz zu überprüfen und sich ein Bild davon zu machen, was sie getan haben und auf welchem ​​Niveau. Und wir haben eine Datenbank, mit der wir beginnen können. Gleichzeitig sind wir alle heute bereiter, uns auch auf erste Kontakte online und länderübergreifend einzulassen.

Die Zukunft verbindet Afrika

Es gibt natürliche Synergien und ähnliche Herausforderungen, mit denen sich auch die Kulturschaffenden in den anderen afrikanischen Ländern auseinandersetzen müssen. Daraus ergibt sich ein großes Potenzial für Kooperationen, welche die Stärken der verschiedenen afrikanischen Länder nutzen und die Herausforderungen besser bewältigen. Afrika importiert kreative Werke vor allem aus dem globalen Norden, obwohl der Kontinent voller Talente und Produktionen ist, die bisher abgeschottet agierten und sich mit dem Ausbau schwertaten. Daher brauchen sinnvolle Synergien von Zeit zu Zeit einen Anstoß. Ein großartiges Beispiel war das Komesho Gathering im Jahr 2021, das vom Goethe-Institut Namibia organisiert wurde und erfolgreiche Kreativunternehmer*innen aus dem gesamten südlichen Afrika zusammenbrachte. Das Treffen hat das Potenzial zu grenzüberschreitenden Kooperationen und nachhaltigen Initiativen zu führen.

Der CIG hat Partner in verschiedenen afrikanischen Ländern, wie Nigeria, Simbabwe, der Demokratischen Republik Kongo und Tansania. Ich und meine Kolleg*innen sind bereit, lokale Partner dabei zu unterstützen, ihre Initiativen auf dem gesamten Kontinent umzusetzen. Diese Partnerschaften werden unser Ziel beschleunigen, den Handel innerhalb des Kontinents, die Zusammenarbeit zwischen afrikanischen Kreativen und Investitionen in den Kreativsektor in verschiedenen afrikanischen Ländern zu fördern.

Als Afrikaner beginnen wir, den wahren Wert der Kreativität zu erkennen, den wahren Wert der Erhaltung und „Ownership“ unserer Kulturen, Kreativität und dem Potenzial für die Schaffung von Wohlstand und neuen Arbeitsplätzen. Sei es durch den informellen Handel mit Kuriositäten oder durch kommerzielle Kampagnen. Aus diesem Grund wurde auf Initiative der Afrikanischen Union die African Audio-Visual and Cinema Commission (AACC) mit dem Ziel gegründet, die Filmindustrie des Kontinents von fünf Milliarden US-Dollar auf 20 Milliarden US-Dollar wachsen zu lassen.

Der Creative Industry Guide (CIG) spielt eine wichtige Rolle an der Schnittstelle zwischen Kultur und Handel. Und das gilt nicht nur für die Afrikanische Union und die Regierungen, die begonnen haben, das Potenzial der Kreativbranche zu erkennen. In Nigeria wurde beispielsweise die Creative Industry Financing Initiative mit einem Interventionsfonds in Höhe von 21,9 Milliarden N$, in etwa 46 Millionen Euro, für die Dauer von maximal zehn Jahren ins Leben gerufen oder die Afreximbank hat 500 Millionen US-Dollar für die afrikanische Kreativwirtschaft bereitgestellt. Ziel ist es, Arbeitsplätze zu schaffen, Armut zu verringern und ein integrativeres Wachstum zu erreichen. CIG würde solchen Initiativen großen Nutzen bringen, indem es die Informationen über Aktivitäten und Produkte von Kreativunternehmer*innen zentralisiert und dabei hilft, den Beitrag und die Entwicklung der Kreativbranche zu erkennen.

Wir werden von dem Wunsch angetrieben, uns als Afrikaner*innen zu sehen, die herstellen, was wir konsumieren und konsumieren, was wir herstellen, und dies auch mit der Welt teilen. Damit dies geschieht, müssen wir das gesamte Ökosystem und die Wertschöpfungskette der Kreativität betrachten, um sicherzustellen, dass das ganze Dorf erfolgreich ist. 


Dieser Artikel erschien zuerst in der Zeitschrift Politik und Kultur Nr. 03/2022.
 

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