Radical Friends Summit
Die Chancen von Blockchain für die Kunstwelt und Zivilgesellschaft

Automatisiert, hierarchielos, fälschungssicher: Blockchain-Technologien haben großes Potenzial, um Machtgefälle in Kunst und Gesellschaft zu reduzieren. Kulturschaffende diskutierten auf dem „Radical Friends Summit“ ihre Möglichkeiten und konkrete Anwendung.
Von Stephanie Hesse X!
Der Summit Radical Friends. Online DAO Summit for Decentralisation of Power and Resources in the Artworld baute am 22. Januar 2022 auf Erkenntnisse und Netzwerke aus dem Projekt Decentralised Autonomous Organisations with Others (DAOWO), das vom Goethe-Institut London und der Online-Kunst-Community und Organisation Furtherfield und den Serpentine Galleries ins Leben gerufen wurde, auf. Kuratiert wurde der Summit von Ruth Catlow, Co-Direktorin von Furherfield, und der Künstlerin und Autorin Penny Rafferty im Dialog mit Sarah Johanna Theurer, Kuratorin am Haus der Kunst in München. DAOWO ist ein transnationales Kooperationsnetzwerk, das seit 2017 internationale Einrichtungen und Gemeinschaften aus Kunst und Technologie zusammenbringt, um die Vor- und Nachteile von Blockchain-Technologien für Kunst, Kultur und Gesellschaft aus lokaler Perspektive zu hinterfragen. Blockchain erlaubt Online-Transaktionen von Werten jeder Art ohne zentrale Verwaltungseinheit zu organisieren. Das Verfahren ist fälschungssicher und basiert auf dem Konsens aller Beteiligten.
Potenziale von DAOs in der Kunstwelt und darüber hinaus
Sarah Johanna Theurer, James Whipple (eea; M.E.S.H.), der Konzeptkünstler Harm Van Den Dorpel, Mitgründer der Software-Agentur Curvelabs Cem Dagdelen und Forscherin und Kuratorin Aude Launay diskutierten in einem Panel die Bedeutung dezentraler digitaler Infrastrukturen für Kunst, Kultur und Gesellschaft. Im Mittelpunkt standen dabei die Auswirkungen auf den Kunsthandel (NFTs, smart contracts), aber auch auf die Finanzierung und Koordination kollaborativer Kunstprojekte, die Zusammenarbeit von Galerien und der Umgang mit Eigentumsverhältnissen. Wie die Co-Kuratorinnen des Summits, Ruth Catlow und Penny Rafferty, betonten, sind hierarchische Strukturen und Machtgefälle in der Kunstwelt nicht unüblich. Die Anwendung von Blockchain-Technologien ermöglicht es beispielsweise, den Besitz von Werken oder Entscheidungsprozesse demokratisch und freundschaftlich zu verteilen und damit einen Beitrag für die Abschaffung elitärer Strukturen in der Kunstproduktion und -rezeption zu schaffen. Umso wichtiger sei es, den Dialog darüber zu führen, wie wir diese Technologien nutzen wollen. „Die Zweifel, die wir jetzt über die Open-Source-Kunstwelt äußern oder auch nicht, werden direkte Auswirkungen darauf haben, wem die Zukunft gehört und wer entscheidet, was dies für andere bedeutet“, ist Ruth Catlow überzeugt.Sarah Johanna Theurer, brachte den Zwiespalt von Blockchain auf den Punkt, in dem sowohl die Potenziale als auch die Gefahren für die Kunstwelt begründet liegen: „Wir haben es mit einem linksradikalen, aber auch einem libertären Erbe zu tun.“ Einerseits macht Blockchain die Existenz von Gatekeepern oder Machtstrukturen überflüssig, andererseits beschleunigt diese Technologie aber auch die Tendenz, Aufmerksamkeit, Reputation, Einfluss sowie Entscheidungsgewalt und Kunst in Vermögenswerte (Tokens) zu verwandeln und diese gegen einen Preis zu handeln. Sara Johanna Theurer ruft dazu auf, neben dem finanziellen Aspekt darüber nachzudenken, wie Blockchain Werte neu definiert und wie sie uns als Peer-to-Peer-Technologie Ideen dafür gibt, wie wir uns ökonomisch, politisch und sozial organisieren können.
Fractional Ownership von Kunstwerken
Für den niederländischen Konzeptkünstler Harm Van Den Dorpel schließt das eine das andere nicht aus. Er ist Mitbegründer des Online-Ausstellungsraums Club Internet und verkauft herunterladbare Kunstwerke. Mit Hilfe von Blockchain und Tokens kann das Eigentum an diesen Objekten auf mehrere Personen aufgeteilt werden (fractional ownership): „Die Besitzer von Tokens eines Kunstwerks bilden eine Gruppe. Sie treffen sich in einem Discord und diskutieren darüber, wie sich der Wert des Werkes entwickelt hat. In gewisser Weise sind sie damit Inhaber eines Mitgliedschafts-Tokens und das Kunstwerk wird selbst zu einer Eintrittskarte zu dieser Gemeinschaft. Ich denke, das ist wirklich ein neues partizipatorisches Phänomen, das wir jetzt bei Kryptowährungen sehen.“ Das Risiko, das für Harm Van Den Dorpel weiterhin besteht, ist, dass über sogenannte Governance Tokens Machtstrukturen der „alten Welt“ innerhalb von DAOs reproduziert werden können.Blockchain-basierte Finanzierung in der Musik
Musiker James Whipple setzt sich seit vielen Jahren mit Musikszenen in den sozialen Netzwerken und mit Communitys von Streamingdiensten auseinander. Er beschäftigt sich mit der Frage, wie Künstler*innen in einer Gemeinschaft zusammenarbeiten können, ohne dass finanzielle oder kulturelle Vermittlung von außen stattfindet. Bestehende Angebote, wie zum Beispiel Spotify, umfassen künstliche Verknappung oder Lizenzabgaben über die GEMA oder ähnliche Gesellschaften. Eine Blockchain-basierte Lösung könnte ohne diese Zwischeninstanz funktionieren. Eine Blockchain-basierte Finanzierung könnte auch neuen Musikrichtungen helfen, sich dank qualitativ konkurrenzfähiger Produktionen zu etablieren.Kollektives Kuratieren und Blockchain als Medium für neue Kunst
Für Aude Launay liegt das große Potenzial von DAOs im kollektiven Kuratieren von Ausstellungen. Im historischen Sinne entscheidet der oder die Kurator*in einer Ausstellung, welche Kunstwerke dort gezeigt werden und welche nicht. Dies nun in der Gemeinschaft und demokratisch tun zu können anstatt alle Entscheidungsmacht in die Hände einer oder weniger Personen zu legen, ändert die Tradition des Kuratierens und auch das Kunstsammeln von Grund auf.Cem Dagdelen, betrachtet Partizipation stärker aus der Produzentenperspektive. Als Mechanismus-Designer setzt er sich in Anlehnung an die Spieltheorie mit der Frage auseinander, wie sich Mechanismen für kollaborative Kulturproduktionen entwickeln lassen und welche Blockchain-basierten Verhandlungstools (Protokolle, Smart Contracts) insbesondere für die Finanzierung von Kunstprojekten eine Rolle spielen. Wenn die Community darüber entscheiden kann, welches Projekt welche Förderung erhält, motiviert das Künstler*innen dazu, Projekte vorzuschlagen, die von einer hochrangigen Jury oder anderen Gatekeepern nie ausgewählt würden. „Ich freue mich auf eine Zukunft, in der die künstlerische Produktion direkt und systemisch vorgeschlagen werden kann, vielleicht als radikale Reaktion auf die Welt, die wir von der institutionellen Elite geerbt haben. Wir können Künstler*innen in diesem Bereich viel propositionaler machen. Wir können mehr verrückte Ausdrucksformen und wirtschaftliche Experimente wagen.” Mit dieser neuen Möglichkeit zu experimentieren bedeutet für Cem Dagdelen, dass sie zum Medium für neue Kunst werden kann. Allerdings schätzt er die Realität von Blockchain derzeit als „spekulatives Versprechen“ ein, die Funktionsweise sei noch zu unausgereift. Damit ergänzt er Ruth Catlows Aufruf, sich über die Art und Weise, wie wir Blockchain-Technologien nutzen wollen, Gedanken zu machen: „Blockchain ist nur so mächtig, wie man in der Lage ist, zwischen den Netzwerk-Mitgliedern eine gemeinsame Kultur zu schaffen, einen Austausch, der nicht nur auf Transaktionen basiert. Meme sind solche Beispiele, bei denen ein Netzwerk eine Kultur schafft.”
Anwendungen im Kulturbereich
Wie sieht nun die praktische Anwendung von Blockchain-Technologien im Kulturbereich aus? Welche Arbeitsweisen lassen sich übertragen? Während des Symposiums wurden vier DAO-Prototypen von Teams aus Berlin, Minsk, Johannesburg und Hongkong vorgestellt.



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