„Constellations for Futures“
Geschichten über Ökologie, Gemeinschaften und Wissenschaft

Im Dezember 2021 präsentierte das Goethe-Institut Brüssel zusammen mit seinem Partner La Loge das dreitägige Programm „Constellations for Futures“ mit wissenschaftlichen Vorträgen, Filmvorführungen und künstlerischen Darbietungen an der Schnittstelle von Ökologie, Gemeinschaften und Wissenschaft. Dies bildete den Höhepunkt und Abschluss des Moduls Wissenschaft des Projekts „Lockdown-Lehren“.
Von Anne Kurr X!
Das multidisziplinäre Programm Constellations for Futures brachte Wissenschaftler*innen und Künstler*innen in einen intensiven Austausch. Forschungserkenntnisse verflochten sich mit künstlerische Positionen und dabei hinterfragten sie gegenseitig ihre Perspektiven. Diese spannungsreichen Dialoge eröffneten neue Sichtweisen auf aktuelle soziale und ökologische Krisen und förderten den Reflexionsprozess der Lockdown-Lehren. Mit dem Projekt Lockdown-Lehren will das Goethe-Institut Lernprozesse aus den krisenhaft pandemischen Zeiten anstoßen, gesellschaftliche Herausforderungen identifizieren und Ideen für die Zukunft entwickeln.
Neue Beziehungen zwischen Menschen und Nicht-Menschen denken
Camille & Ulysse – ein Film von Diana Toucedo lässt die Philosophinnen Donna Haraway und Vinciane Despret ihre sogenannten Fabulationen The Camille Stories und Autobiographie d’un poulpe erzählen. Zugleich ist der Film selbst eine visuelle Erzählung über die Philosophinnen und bringt uns ihre Denkansätze näher. Haraway und Despret gehören zu den wichtigsten Denkerinnen, die unsere Beziehung zu Natur und Tieren verändern wollen. Gerade im Kontext der ökologischen Krisen und der globalen COVID-19-Pandemie leisten ihre Arbeiten einen wichtigen Beitrag zur Theorie eines speziesübergreifenden Zusammenlebens und liefern einen intellektuellen Rahmen für das Programm Constellations for Futures.„Narratives about Earth“
Am Programmtag Narratives about Earth wurde kritisch über die Dominanz und die Grenzen des Anthropozäns reflektiert. Die künstlerischen Werke von Ben Rivers (Urth, 2016) und Ursula Biemann/Mo Diener (21 Prozent, 2016) hinterfragen in ihren Science-Fiction Filmen die Vorstellung menschlicher und technischer Kontrolle der Natur. Eindrücklich führt uns der Londoner Filmemacher Ben Rivers in Urth die Grenzen technischer Dominanz der Menschen über die Natur vor Augen. Urth wurde in der Biosphäre 2 in Arizona gedreht. Das ambitionierte Experiment Biosphere 2 entstand in den 1980er Jahren und sollte als Prototyp für die Umweltforschung dienen. Es war der Versuch Natur zu konstruieren. Die Stimme der Protagonistin erzählt dystopisch von dessen Scheitern.Auch mit Blick auf die Klimakrise scheint ein anderes Verhältnis zur Erde notwendig. Die teilnehmenden Wissenschaftler*innen Adam Searle, Jonathon Turnbull und Jennifer Gabrys diskutierten, wie veränderte Verhältnisse zwischen Mensch und Natur sich entwickeln können, und in wie weit die aktuellen ökologischen und sozialen Entwicklungen dazu beitragen. Beginnend mit einer theoretischen Untersuchung von Erzählungen über das Wiederauftauchen der Natur in abgeschotteten Städten in den Lockdowns erforschen sie die Rolle digitaler Technologien in der Veränderung der Mensch-Natur-Beziehungen.
„Caring is/in the future“
Mensch-Natur-Beziehungen wie auch zwischen Menschen und Gemeinschaften gestalten sich auf unterschiedliche Weisen. Praktiken der Fürsorge spielen dabei eine besondere Rolle. Dabei zeigt sich in der Fürsorgearbeit, welche Praktiken des Heilens überhaupt akzeptiert sind, und welche Ungleichheit und asymmetrische Machtstrukturen zwischen Geschlechtern, Ethnien und Kulturkreisen nach wie vor bestehen. Die gezeigten Kunstwerke, Vorträge und Performances am dritten Tag von Constellations for Futures boten die Möglichkeit, eigene Vorstellungen von Zusammenleben zu erweitern, zu dekolonisieren und andere partizipative Formen des kollektiven Lebens zu erproben. Das Programm Caring is/in the future umkreiste dafür die Fragen, was Fürsorge bedeutet, wer für wen sorgt und wer davon ausgeschlossen ist oder ausgebeutet wird? Dies wurde insbesondere aus historischer, dekolonialer, ökologischer und queer-feministischer Position beleuchtet.Die Historikerin in der politischen Ökologie Chanelle Adams erforscht Heilpflanzen und Heilpraktiken in Madagaskar zur Zeit der französischen Kolonisierung bis heute, und erläutert dekoloniale Perspektiven, welches Wissen und Praktiken der Pflege unterdrückt, verdrängt, aber auch durch die europäischen Kolonialmächte übernommen und ausgenutzt wurden. Wissenschaftliche Untersuchungen wie Malcom Ferdinands A Decolonial Ecology und die Erzählungen von Sophia Al-Maria Sad Sack: Collected Writing bilden die Basis der Sound Performance Sensing Satellite (2021) von Fallon Mayanja. Diese eröffnet auf sinnlicher Ebene einen Zugang zu dekolonial-emanzipatorischen und ökologischen Sichtweisen.
Dimensionen der aktuellen Ungleichheit in der Fürsorge zeigt uns die fiktive Fürsorge-Revolution in Caring for/from the Future (2021) von Swoosh Lieu. Das queer-feministische Kollektiv thematisiert die akuten sozialen und ökonomischen Missstände in der Fürsorge-Arbeit, die sich durch die Pandemie zum Teil noch verstärkt haben. Sensibilisierung und Aufmerksamkeit für diese Themen sind notwendig um die aktuellen Krisen zu überwinden. Daher zielen die partizipativen Workshops der Künstlerin und Mediatorin Mira Hirtz darauf, mit Gesten der Fürsorge und des Beobachtens zu experimentieren. Indem man sich auf die Mittel konzentriert, die der fühlende Körper bietet, verändert sich die Wahrnehmung von uns selbst, anderen und nicht-menschlichen Daseinsformen.
Teilnehmende Künstler*innen und Wissenschaftler*innen
Chanelle Adams — Ursula Biemann — Jennifer GabrysMira Hirtz — Katharina Hoppe — Fallon Mayanja
Ben Rivers — Adam Searle & Jonathon Turnbull
Swoosh Lieu — Diana Toucedo