Eine herausragende Architektur rückt viele Bibliotheken, Museen, Konzerthäuser und Theater in den Blickpunkt der Öffentlichkeit. Das ist heute wichtiger denn je.
Nicht weniger als ein „Schmuckstück der Kulturnation Deutschland“ sah der damalige Bundespräsident Joachim Gauck bei der Eröffnung der Hamburger Elbphilharmonie in dem emblematischen Bau. Das neue Hamburger Konzerthaus, dessen strahlende Erscheinung gerne mit der Sydney Opera verglichen wird, gilt unbestritten als neues Wahrzeichen der Hansestadt.
Der Bau wirft ein Schlaglicht auf eine Entwicklung, die sich weltweit beobachten lässt. Kulturinstitutionen wie Theater, Konzerthäuser und Bibliotheken stehen im harten Wettbewerb mit den neuen virtuellen Medien. Deshalb müssen sie immer aufwendiger und attraktiver werden. Und sie sind am erfolgreichsten, wenn Inhalt und Architektur gleichermaßen faszinieren. Den Anfang dieser Entwicklung markiert sicherlich das Centre Pompidou in Paris. Man spricht heute von signature architecture, wenn schon die Bilder eines Bauwerks so eindrücklich sind, dass man sie, einmal gesehen, nicht mehr vergisst.
Welche Bedeutung herausragende Architektur heute haben kann, zeigt sich an zahlreichen kulturellen Institutionen, die in strahlende neue Häuser gezogen sind und dadurch ihre Besucherzahlen erheblich steigern konnten. Die Tate Modern in London zum Beispiel ist durch den erstaunlichen Umbau des Kraftwerks an der Themse durch die Basler Architekten Herzog & de Meuron überhaupt erst in das Blickfeld einer internationalen Öffentlichkeit gerückt – und konnte diesen Effekt mit dem Erweiterungsbau nochmals wiederholen.
Der Bilbao-Effekt: regionale Strahlkraft durch Architektur
Wenn die Auswirkungen des Besucheransturms weit über die Institution selbst hinausgehen, spricht man vom „Bilbao-Effekt“: Der Neubau des Guggenheim-Museums im nordspanischen Bilbao durch den US-amerikanischen Stararchitekten Frank O. Gehry hat die Stadt 1997 erst ins Blickfeld des kulturinteressierten Publikums gerückt. Der Bau fungierte als Initialzündung für die Stadtentwicklung, denn das ehemalige Gewerbegebiet am Industriehafen hat sich zu einem prosperierenden Quartier entwickelt und der Arbeiterstadt neue Perspektiven eröffnet. Jährlich eine Million Besucher sind ein gewichtiger wirtschaftlicher Faktor und haben der Stadt einen enormen Aufschwung gebracht.
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Foto (Ausschnitt): © Ozeaneum Stralsund/Peter Sandbiller
Ozeaneum Stralsund | Behnisch Architekten | Eröffnung 2008
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Foto (Ausschnitt): © Ozeaneum Stralsund/Johannes-Maria Schlorke
Oeaneum Stralsund | Hafenlage
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Foto (Ausschnitt): © Ozeaneum Stralsund
Ozeaneum Stralsund | Ausstellungskonzept
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Foto (recorte): © Ozeaneum Stralsund/Johannes-Maria Schlorke
Ozeaneum Stralsund | Vista exterior
Der Bilbao-Effekt ist nicht immer so ausgeprägt, aber wenn sich zum Beispiel das Deutsche Meeresmuseum in Stralsund durch den Neubau des Ozeaneums mit 852.000 Besuchern im Jahr 2015 nach dem Dresdner Schloss auf den zweiten Platz der Besucherstatistik in Deutschland schieben konnte, profitiert natürlich auch die Hansestadt in erheblichem Maß davon. Denn das von Behnisch Architekten errichtete Ozeaneum bietet dieses geforderte besondere Maß an Spektakel. Der Bau hat eine extravagante Form mit Wiedererkennungswert, liegt malerisch am Hafen und präsentiert eine äußerst populäre Ausstellung.
Die Bibliothek als signifikanter Ort
Überraschend ist, dass im vermeintlich papierlosen IT-Zeitalter noch immer neue Universitäts-, Stadt- und Landesbibliotheken entstehen, und dies oft als architektonische Juwele. So errichtete die Stadt Stuttgart 2001 im Quartier von Stuttgart 21 in der Nähe des Hauptbahnhofs nach den Plänen des Koreaners Eun Young Yi einen fremdartigen, abends blau schimmernden Büchertempel mit einem hinreißenden Innenraum.
Kaum weniger eindrucksvoll als die Stadtbibliothek Stuttgart ist in Dresden die Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek SLUB von Ortner & Ortner Baukunst Berlin/Wien. Auch Max Dudlers Bibliothek der Humboldt-Universität in Berlin-Mitte, das Jakob-und-Wilhelm-Grimm-Zentrum, ein Ziegelbau direkt an S-Bahnviadukt, kann mit einem großartigen Architekturerlebnis aufwarten.
Ihnen allen ist gemeinsam: Sie sind hervorragend frequentiert, oft sogar überlaufen. Gerade im Zeitalter der Digitalisierung wird die „Bibliothek als Ort“ zunehmend wichtig: als Bildungs- und Informationszentrum, als Ort des Lernens und fachlichen Austauschs – und mit einer hohen Aufenthaltsqualität. Deshalb ergänzen die Architekten die Büchereifunktion um Lounges, Cafés und vielfältige Serviceangebote. Dies ist kein deutsches Phänomen. Seattle, Birmingham oder Aarhus haben aufsehenerregende Neubauten erhalten. Diese sind allesamt nicht nur Bücherspeicher mit Lesesälen, sondern Stadtteilzentren mit Nebennutzungen, mit Restaurants und Studios, mit diversen Unterhaltungsangeboten und Veranstaltungsprogrammen.
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Foto (Ausschnitt): © Stadtbibliothek Stuttgart/yi architects/Andreas Weil
Stadtbibliothek Stuttgart | Eun Young Yi | Eröffnung 2011
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Foto (Ausschnitt): © Stadtbibliothek Stuttgart/yi architects/Martin Lorenz
Stadtbibliothek Stuttgart | Außenansicht
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Foto (Ausschnitt): © Stadtbibliothek Stuttgart/yi architects/Martin Lorenz
Stadtbibliothek Stuttgart | Galerie
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Foto (Ausschnitt): © Stadtbibliothek Stuttgart/yi architects/Martin Lorenz
Stadtbibliothek Stuttgart | Galerie
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Foto (Ausschnitt): © Henrik Ahlers
Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek/SLUB | Ortner & Ortner Baukunst Berlin/Wien | Eröffnung 2003
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Foto (Ausschnitt): © Henrik Ahlers
Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek/SLUB | Vortragssaal
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Foto (Ausschnitt): © Fanny Hauser
Sächsische Landes- und Universitätsbibliothek/SLUB | Makerspace
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Foto (Ausschnitt): © Aarhus Public Libraries
Dokk1 in Aarhus | Schmidt Hammer Lassen Architects | Eröffnung 2015
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Foto (Ausschnitt): © Aarhus Public Libraries
Dokk1 in Aarhus | Außenansicht
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Foto (Ausschnitt): © Aarhus Public Libraries
Dokk1 in Aarhus | Innenansicht
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Foto (Ausschnitt): © Aarhus Public Libraries
Dokk1 in Aarhus | Makerspace
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Foto (Ausschnitt): © Library of Birmingham
Library of Birmingham | Francine Houben | Eröffnung 2013
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Foto (Ausschnitt): © Library of Birmingham
Library of Birmingham | Innenansicht
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Foto (Ausschnitt): © Library of Birmingham
Library of Birmingham | Innenansicht
Konzerthäuser – auch für Besucher ohne Konzertkarte
Wie bei den Bibliotheken geht der Trend auch bei Konzerthäusern zur Multifunktionalität. Die Kultureinrichtungen werden zu sozialen Treffpunkten – auch für Nutzer ohne Konzertkarte. Für den informellen Besucher ist deshalb die architektonische Attraktion von besonderer Bedeutung.
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Foto (Ausschnitt): © CKK Jordanki
CKK Jordanki | Fernando Menis | Eröffnung 2015
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Foto (Ausschnitt): © CKK Jordanki
CKK Jordanki | Innenansicht
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Foto (Ausschnitt): © CKK Jordanki
CKK Jordanki | Innenräume
Ein eindrucksvolles Beispiel ist das Musik- und Veranstaltungszentrum CKK Jordanki im polnischen Torun. Der spanische Architekt Fernando Menis hat es als backsteinerne Höhlenarchitektur in expressiven Formen gestaltet. Ebenfalls in kristallinen Formen thront die Casa da Música von Rem Koolhaas in Porto wie ein überdimensionaler Diamant prominent am Kreisverkehr des Jardim da Rotunda da Boavista.
Umnutzungen – Kathedralen der Industrie als Kulturattraktionen
Hin und wieder gelingt der finanzielle Kraftakt, ehemalige Industrieanlagen für kulturelle Zwecke umzunutzen. Dabei entstehen meist Ensembles von hohem architektonischen Reiz: Die Zeche Zollverein in Essen etwa ist heute anschauliches Baudenkmal der Montanindustrie, Museum, Veranstaltungsort und Hochschule zugleich. Oder die Jahrhunderthalle in Bochum, eine ehemalige Gebläsehalle von 1902, die im Jahr 2003 von Petzinka Pink Architekten zu einer ungewöhnlichen Spielstätte für die Ruhrfestspiele umgebaut wurde.
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Foto (Ausschnitt): © Frank Rogner/Fotoagentur Netzhaut
Jahrhunderthalle in Bochum | Karl-Heinz Petzinka und Partner| Eröffnung 2003
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Foto (Ausschnitt): © Michael Grosler
Jahrhunderthalle in Bochum | Gelände
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Foto (Ausschnitt): © Frank Rogner/Fotoagentur Netzhaut
Jahrhunderthalle in Bochum | Innenaufnahme
In Dresden blockierte ein 1994 aufgegebenes voluminöses Heizkraftwerk im westlichen Innenstadtbereich die Stadtentwicklung. Inzwischen gelang es, das Areal als Kulturstandort zu aktivieren. „Kathedralen der Industrie“ nennt man gerne die hochaufgetürmten, von Schornsteinen gekrönten Backsteinmassive aus den 1920er- und 1930er-Jahren. Zwar wurde das gewaltige Kesselhaus abgerissen, aber durch einen Neubau für die Staatsoperette und das Junge Theater ersetzt, der sich mit seiner Roststahl- und Glasfassade wunderbar in das Industrieensemble einfügt. In der einstigen Maschinenhalle fanden die Studiobühne, die Puppenspielbühne und dazwischen das allen vier Bühnen gemeinsame Foyer Platz.
Die restlichen, architektonisch reizvollen Kraftwerksgebäude wurden oder werden saniert und neu genutzt. Kunsthalle, Energiemuseum, Kreativzentrum und Restaurants bilden mit den Theatern eine lebendige urbane Mischung. Mit dem Kulturkraftwerk hat Dresden ein zweites kulturelles Zentrum gewonnen, das die Fixierung auf die vom Tourismus überlaufene Traditionsinsel am Elbufer von Semperoper über Schloss bis Albertinum ein wenig abmildert.
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Foto (Ausschnitt): © Kraftwerk Mitte Dresden/Oliver Killig
Kraftwerk Mitte in Dresden | Jörg Friedrich | Eröffnung 2016
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Foto (Ausschnitt): © Kraftwerk Mitte Dresden/Michael Schmidt
Kraftwerk Mitte in Dresden | Luftaufnahme
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Foto (Ausschnitt): © Kraftwerk Mitte Dresden/Oliver Killig
Kraftwerk Mitte in Dresden | Außenansicht
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Foto (Ausschnitt): © Kraftwerk Mitte Dresden/Oliver Killig
Kraftwerk Mitte in Dresden | Innen
Kulturarchitektur als Standortfaktor
Dass neue Kulturbauten eine gewisse Aufbruchsstimmung in der Bevölkerung und eine neue Außenwahrnehmung schaffen können, erleben nicht nur Großstädte wie Hamburg. Auch in der Provinz ist der Effekt zu spüren. Von Blaibach im Bayerischen Wald hatte kaum jemand gehört. Dann hat der Münchener Architekt Peter Haimerl dort ein Konzerthaus gebaut, das inzwischen mit mehreren Architekturpreisen ausgezeichnet wurde.
Und schon ist der Ort auf der Landkarte der Musikfreunde – zumindest in der Region – angekommen. In Chemnitz ist das großartige Sächsische Landesmuseum für Archäologie ein Zielort für Touristen wie Architekturfreunde geworden, denn es wurde im berühmten Kaufhaus Schocken von Erich Mendelsohn eingerichtet.
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Foto (Ausschnitt): © SMAC/M. Jungblut
Staatliches Museum für Archäologie/SMAC | Auer Weber + Knerer und Lang | Eröffnung 2015
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Foto (Ausschnitt): © SMAC/Lásló Farkas
Staatliches Museum für Archäologie/SMAC | Außen
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Foto (Ausschnitt): © SMAC/Lásló Farkas
Staatliches Museum für Archäologie/SMAC in Dresden | Ausstellungsraum
Kultur ist heute zu einem wichtigen Standortfaktor geworden, wenn es zum Beispiel in einer Stadt oder einer Region gilt, in Konkurrenz zu anderen Standorten um qualifizierte Mitarbeiter zu werben. Neue Kulturbauten beflügeln die Städte und Gemeinden, aber auch die Kulturschaffenden und die Architekten – auch wenn es nicht immer gleich um einen Bilbao-Effekt geht.