Jazz 2012
Ein Gespenst geht um in Europa – das Gespenst des organisierten Jazzmusikers!

Volle Kraft voraus: Julia Hülsmann, die neue Vorsitzende der Union deutscher Jazzmusiker (Foto: Christoph Hillmann) | Foto: Christoph Hillmann
Es herrscht Unzufriedenheit in Deutschland. Unter den Jazzmusikerinnen und Jazzmusikern. Zu spüren war dies bereits in den vergangenen Jahren. Es gibt unendlich viele hervorragend ausgebildete Musiker, aber das Angebot an adäquaten Auftrittsmöglichkeiten ist knapp. Die Wahrnehmung der Jazzmusik in der Öffentlichkeit geht zurück. Clubs dünnen ihr Programm aus. Traditionsreiche Festivals in der Provinz und in den urbanen Zentren werden eingestellt oder müssen Budgetkürzungen in Kauf nehmen. Alles schlecht also? Keineswegs! Arndt Weidler sieht von Resignation keine Spur im deutschen Jazz.
Musiker werden aktiv – ein Festival von Musikern für Musiker: winterjazz köln 2012
Das Jazzjahr 2012 beginnt im Januar mit einem Ausrufezeichen. Die Saxofonistin Angelika Niescier organisiert nach New Yorker Vorbild ihr erstes winterjazz-Festival in Köln. Niescier selbst stellt das Programm zusammen, bei dem ausschließlich Kölner Musikerinnen und Musiker auftreten. Wohl nirgendwo in Deutschland außerhalb Berlins ist die Dichte an hervorragenden Jazzmusikern so hoch wie in der Domstadt. 13 Bands auf drei Bühnen im Musikclub „Stadtgarten“ präsentieren einen Abend lang bei freiem Eintritt alle Facetten ihrer jazzmusikalischen Aktivitäten. Von der Vertonung traditioneller Lyrik bis zu frei-assoziativen elektronischen Experimenten ist alles vertreten – und das Publikum honoriert es mit einem vollen Haus, großer Neugier und viel Applaus. Am 4. Januar 2013 gibt es das Nachfolgefestival mit 15 Bands an drei Veranstaltungsorten. Ermutigend.Aktive Vertretung der Musikinteressen – Union Deutscher Jazzmusiker reloaded
Nach ausführlichen Vorarbeiten und unzähligen internen Treffen verjüngt sich der Vorstand der Union deutscher Jazzmusiker (UDJ) im Frühjahr 2012 erheblich. Das neue Führungsteam stellt die 1973 von Manfred Schoof, Wolfgang Dauner, Albert Mangelsdorff und anderen gegründete Musikerinitiative auf gänzlich neue Füße.
Bremen bietet der internationalen Jazzszene eine Plattform – Jazzahead 2012
Die 7. Auflage der 2006 gegründeten Bremer Jazzmesse lockt 3.500 Fachbesucher aus der ganzen Welt an. Gastland 2012 ist Spanien. Spätestens jetzt sind selbst die Skeptiker überzeugt, dass auch im Jazz, ein herkömmliches Messekonzept, bei dem sich die wirtschaftlichen und künstlerischen Interessen der Akteure bündeln, erfolgreich sein kann. Deutschland hat das Schaufenster der Bremer Musikmesse in den vergangenen Jahren immer genutzt, um seine Musiker einem internationalen Fachpublikum zu präsentieren. Mit den German Jazz Meetings in den Jahren 2006, 2008 und 2010 hatte man eine Präsentationsplattform für aktuellen Jazz aus Deutschland in Bremen etabliert. Das Nachfolgeformat „German Jazz Expo“ soll auch künftig bei der Jazzahead den Export von Jazz „Made in Germany“ befördern. Mit der UDJ und der Initiative Musik hat man neue Kooperationspartner zur Seite.
Darmstadt bietet der deutschen Jazzszene eine Plattform – „Wegweiser Jazz“-online
Mit der Publikation Wegweiser Jazz, einem Adressverzeichnis des Jazz in Deutschland, bediente das Darmstädter Jazzinstitut bislang in Buchform die Informationsbedürfnisse des deutschen Fachpublikums. Seit Anfang des Jahres steht diese Sammlung von Adressdaten nun auch weltweit und kostenfrei im Internet zur Verfügung. Die Adresseinträge können von den Nutzern dort eigenständig gepflegt und aktuell gehalten werden.An der Basis, aber knietief im Dispo – Clubs im Wechselbad der Gefühle


Eine lebendige Festivalszene braucht Leuchttürme
Die deutsche Festivalszene bildet die föderale Struktur Deutschlands ab. Die vielen Mittelzentren der Republik beheimaten zum Teil schon seit Jahrzehnten hochkarätige Jazzfestivals, die vor allem auf ihre starke Verankerung im kommunalen und regionalen Kontext bauen und dank internationaler Stars weit über die Provinz ihre Strahlkraft entfalten. Deutschland hat aber auch seine Aushängeschilder im jährlichen Festivalbetrieb – jene Festivals, die auf nationaler wie internationaler Ebene unter besonderer Beobachtung stehen, weil sie nicht nur die großen Namen auf die Festivalbühne bringen, sondern bewusst Trends setzen, thematischen Schwerpunkten folgen und aktuelle Entwicklungen in der Musik widerspiegeln.Das Moers Festival bleibt auch im 40. Jahr seines Bestehens das wohl experimentierfreudigste Festival in Deutschland. Nirgends sonst erhält man einen ähnlich tiefgreifenden Überblick über die zeitgenössische Jazzszene wie zu Pfingsten am Niederrhein.
„Mein Anspruch bei der Programmzusammenstellung ist, immer in Augenhöhe mit der aktuellen internationalen Entwicklung zu sein. Im Idealfall weiß ich, was an den ‚hot spots‘ der Welt passiert und versuche, das subjektiv Beste daraus objektiv im Programm abzubilden“, beschreibt Reiner Michalke, seit 2006 künstlerischer Leiter, seinen Anspruch. Dass dies in Zeiten knapper werdender öffentlicher Budgets immer schwieriger zu verwirklichen ist, weiß auch er. Trotz finanzieller Krisen, die das Festival immer häufiger und immer heftiger erreichen, blickt Michalke einigermaßen versöhnlich zurück. So wurde das Programmbudget von Kürzungen verschont – wenn man von der Reduzierung von vier auf drei Tage Festivaltage absieht.
In Berlin wird 2012 der Leipziger Publizist Bert Noglik zum neuen künstlerischen Leiter des Jazzfests Berlin berufen.

Wiederbelebung eines besonderen Formats: New Jazz Meeting Baden-Baden
„Das New Jazz Meeting ist ein großzügig angelegtes Forum, bei dem ein Musiker mit einem Ensemble über mehrere Tage ein künstlerisches Projekt entwickelt und anschließend der Öffentlichkeit präsentiert“, sagt Günther Huesmann, seit Sommer neuer Leiter der Jazzredaktion des Südwestrundfunks.
Preiswürdige Musik …
Auch in diesem Jahr ragen viele Produktionen junger Musiker heraus. Was ebenso auffällt: Die Bands und ihre Ausrichtung werden immer internationaler. Deutschland ist ein Einwanderungsland und vor allem seine Großstädte sind längst musikalische „Melting Pots“. Beim Europäischen Burghauser Nachwuchs-Jazzpreis 2012 überzeugt der 1982 geborene Saxofonist Malte Schiller mit seiner elfköpfigen Formation Red Balloon die Jury mit seinen gleichermaßen reifen wie gewitzten Arrangements.
Deutschland ist Heimat unterschiedlicher Kulturen, die ihre jeweiligen Fußabdrücke auch im künstlerischen Bereich hinterlassen. Dieser Tatsache trägt der 2012 neu geschaffene Bremer Jazzpreis Rechnung. Die Gruppe Masaa um den aus dem Libanon stammenden Sänger Rabih Lahoud setzt die Vorgabe der Preisstifter, gelungene Grenzgänge zwischen ethnischer Musik und zeitgenössischem Jazz zu präsentieren, am überzeugendsten um.
… und bemerkenswerte Produktionen
Dem Dresdner Schlagzeuger Günter „Baby“ Sommer gelingt die wohl eindringlichste CD des Jahres. Inmitten einer durch die „Eurokrise“ befeuerten Diskussion um die Schuldigen der europäischen Finanzmisere und dem penetranten Aufleben von Ressentiments zwischen Deutschen und Griechen erinnert Songs for Kommeno an die Gräueltaten der deutschen Wehrmacht während des zweiten Weltkriegs im besetzten Griechenland.
Auch vom deutschen Vorzeigelabel ECM kommt im 43. Jahr seines Bestehens wieder eine herausragende Produktion eines deutschen Musikers. Die CD Equilibrium des Benedikt Jahnel Trios ruht in sich selbst. Leicht nur kräuselt sich der ruhig daliegende See an der Oberfläche, während es darunter gewaltig brodelt.

Jazzmusiker aller Länder, vereinigt Euch … am besten in Deutschland!