Aus- und Weiterbildung
Neue Musik lehren und lernen

Klagen über die konservative Haltung viele klassischer Musikausbildungsstätten sind so alt wie die Institutionen selbst. Ganz unberechtigt sind sie sicher nicht.

Wohl jeder dem Neuen zugewandte Komponist kennt die (Über-)Macht der Tradition auch in diesem Rahmen. Doch offenkundig ist seit einiger Zeit an deutschen Musikhochschulen manches in Bewegung. Da wurden oder werden fast überall Institute für Neue Musik gegründet oder sogar eigene Ausbildungsgänge für zeitgenössische Musik geschaffen. Die Tendenz zur Modularisierung im Zuge der so genannten Bologna-Reformen, die ein einheitliches europäisches Hochschulwesen bis 2010 anvisieren, scheint diesen Prozess gegenwärtig noch zu befördern. Allenthalben hat man erkannt, dass es kaum weiter zu verantworten ist, wenn sich Musikstudierende nur außerhalb der eigentlichen Ausbildung oder sogar erst nach ihrem Examen mit Neuer Musik auseinandersetzen. Und man hat wohl eingesehen, dass das Faszinierende der neuen Künste nur durch eine ebenso gründliche wie vielseitige Ausbildung umfassend vermittelt und erschlossen werden kann.

Pionierarbeit: das Institut für Neue Musik in Freiburg

Dem Komponisten Wolfgang Fortner verdankt die Freiburger Hochschule für Musik in dieser Hinsicht eine Vorreiterrolle. Er gründete dort 1954 das Institut für Neue Musik, das im Laufe der Jahrzehnte jene Verbindung von Theorie und Praxis entfaltete, die mittlerweile für entsprechende Einrichtungen anderer Musikhochschulen ebenfalls charakteristisch ist. Ein solch enger Praxisbezug ist, von wenigen Ausnahmen abgesehen, an klassischen Universitäten in Deutschland weithin undenkbar. Inzwischen haben auch die Hochschulen etwa in Berlin, Bremen, Dresden, Essen, Frankfurt am Main oder Hamburg nachgezogen. Sie alle entwickeln vielfältige Aktivitäten, um der oft beklagten Isolation der Neuen Musik – im Konzertleben insgesamt wie in den Hochschulen selbst – entgegenzuwirken. Die Verbreitung solcher Aktivitäten wird dadurch beflügelt, dass der musikwissenschaftliche und musikpädagogische Bereich an Musikhochschulen in den letzten beiden Jahrzehnten erheblich gestärkt wurde und beide Disziplinen vielerorts inzwischen die Notwendigkeit eines engen Bezugs zur Gegenwartsmusik erkannt haben.

Experimentierfeld: das Darmstädter Institut für Neue Musik und Musikerziehung

Einen solchen Prozess der Öffnung haben andere Institutionen längst hinter sich. An erster Stelle ist hier wohl das Darmstädter Institut für Neue Musik und Musikerziehung (INMM) zu nennen. Ließ es bei seiner Gründung Ende der 1940er-Jahre noch durchaus restaurative Züge erkennen, so wandelte es sich später zum Ort der lebendigen Auseinandersetzung mit aktuellsten Tendenzen und Fragestellungen, zu einem regelmäßigen Ergänzungsangebot für Studierende, Musiklehrer und andere Berufstätige. Hier wie an anderen Orten wird erfahrbar, dass die Neue Musik kein einheitliches, monolithisches Ganzes ist, sondern ein spannendes, höchst vielfältiges Feld von Möglichkeiten. Die Öffnung der Institutionen profitierte dabei von jener Öffnung der Musik selbst.

Eine vergleichbare Entwicklung vollzogen auch die berühmten Darmstädter Ferienkurse. Sie sind eine der weltweit bekanntesten Fortbildungsveranstaltungen für Neue Musik und besitzen bis heute eine ungebrochene Anziehungskraft vor allem für Komponisten und Instrumentalisten aus aller Welt. Noch immer ist an diesem Ort, an dem sich insbesondere in den 1950er- und 1960er-Jahren Musikgeschichte ereignete, auf jene höchst vitale Mischung aus theoretischer Reflexion und praktischer Anschauung zu hoffen, die für die Vermittlung von Gegenwartskunst geradezu unentbehrlich ist.

Erweiterungen: Ausbildung außerhalb der Hochschulen

Eine erhebliche Nachhaltigkeit bei der Musikvermittlung ist das Ziel auch vielfältiger anderer Initiativen und Einrichtungen, die sich mit Kursen, öffentlichen Seminaren oder Diskussionsveranstaltungen im Bereich der zeitgenössischen Musik bewegen. Manches von dem, was im Rahmen der Hochschulausbildung zu kurz zu kommen droht, wird in Angeboten verschiedener regionaler Veranstalter in Form von praktischen oder theoretischen Kursen intensiviert. Beispielhaft genannt seien hier etwa der Jugendhof in Vlotho, das Kölner Büro für Konzertpädagogik oder das sich selbst als „Veranstaltungszentrum und Fortbildungsinstitut für improvisierte Musik und kreative Musikpädagogik“ bezeichnende Berliner exploratorium. Genannt seien aber auch verschiedene im Musiktheaterbereich meist in Kooperation mit Musikhochschulen geschaffenen Akademien, etwa die Hellerauer Sommerakademie für experimentelles Musiktheater oder die Akademie Musiktheater heute.

Dieselbe seit der Antike geläufige Ausbildungsform schreiben unter anderen Vorzeichen auch renommierte deutsche Spezialensembles (wie das Ensemble Modern und das ensemble recherche) fort. Deren in den letzten Jahren gegründeten Akademien dienen vor allem der beharrlichen Förderung von Instrumentalisten, etwa von Studierenden und Absolventen der Musikhochschulen. Intensivierung erfährt der Bereich der Aus- und Weiterbildung auch dadurch, dass an einzelne Festivals für Neue Musik, wie etwa die Donaueschinger Musiktage, spezifische Fortbildungsveranstaltungen für Musikpädagogen oder für junge Komponisten angeschlossen wurden – ein erkennbares Zeichen der gewachsenen gesellschaftlichen und musikpädagogischen Verantwortung dieser Konzertfestivals. Ebenfalls in den letzten Jahren stark verbreitert wurde das Spektrum der nach englischem Vorbild gestalteten „Response“- Projekte, bei denen Schüler und Studenten eigene kompositorische Versuche starten, die sich auf bereits vorhandene Musik beziehen. Dieses von unterschiedlichsten Institutionen – bis hin zu den Berliner Philharmonikern – eingerichtete Angebot wendet sich vor allem an Schülerinnen und Schüler und findet mittlerweile an vielen Orten des Landes beträchtliche Resonanz.

Die Aus- und Weiterbildung im Bereich Neuer Musik will primär nicht nur professionelle Aufführungen ermöglichen. Sie reicht vielmehr deutlich darüber hinaus, indem sie versucht, neue praktische wie theoretische Erfahrungen zu vermitteln. Diese können und sollen alle Teilnehmenden näher zu dem führen, was den spezifischen Reiz und die Unverwechselbarkeit der Gegenwartsmusik ausmacht.