Krautrock und Schwarzwälder Indian Vibes
Balkan-Pop erfreut sich größter Beliebtheit, Brass Bands schießen aus dem Boden und Rapper samplen neuerdings Blasmusik –in den letzten zehn Jahren hat sich das Genre „Global Pop“ endgültig in Deutschland etabliert.

Global Pop aus Deutschland
Es begann mit einem Scherz: Mathar war als solcher gedacht. Der Gitarrist Volker Kriegel und sein Frankfurter Quartett waren Ende der 1960er-Jahre eigentlich Jazzer. Trotzdem kam man nicht an den poppigen Beatles vorbei. Damals war das Beatles-Mitglied George Harrison nach Indien gepilgert und hatte sich selbst das Sitar-Spielen beigebracht. Das können wir auch, sagten sich die Frankfurter Jazzer. Und damit war das wahrscheinlich erste deutsche Weltmusik-Stück geboren: Mathar – lange, bevor es diesen Genrebegriff überhaupt gab.Auf dem gleichen Indien-Trip waren 1964 auch Kriegels Frankfurter Jazz-Kollegen Albert Mangelsdorff, Heinz Sauer und Ralf Hübner: Sie hatten nach einer Asien-Tournee im Auftrag des Goethe-Instituts zwei Fusion-Stücke komponiert. Diese waren jedoch geradezu konventionell gegen den poppigen Entwurf von Volker Kriegel und dessen Band. Kriegel erfand das Sitar-Intro und die eingängige Hookline des Stücks Mathar, aufgenommen wurde es im Schwarzwald. „Das war alles ein bisschen ironisch gemeint, eher wie ein musikalischer Scherz!“, so Kriegel. Mehr als zwanzig Jahre später wurde das Stück von Diskjockeys wiederentdeckt. Mitte der 1980-er Jahre stand der indischstämmige Chef des Londoner Asian-Underground-Labels Outcaste bei Kriegel vor der Tür und wollte über Remixe sowie die Mathar-Masterbänder verhandeln. Kriegel: „Es brauchte anscheinend mitteleuropäische Hirnis, um auf einem geradezu abenteuerlichen Umweg jungen Indern in London ihre eigene Musik wieder ans Herz zu legen“.
„Godfathers of Worldbeat“: die Dissidenten
Doch zunächst reisten deutsche Bands wie Embryo und die Dissidenten nach Marokko und Indien, um dort nach neuen Rhythmen und Inspirationen zu suchen. Sie brachten von ihren ausgedehnten Konzertreisen jeweils Instrumentallisten mit. Was in den 1970er-Jahren noch Krautrock mit Hippieflair genannt wurde, entwickelte sich spätestens Ende der 1980er-Jahre zum eigenständigen Genre Weltmusik. Als „Godfathers of Worldbeat“ wurden die Dissidenten vom Rolling Stone Magazin gefeiert. Die Kollegen von Embryo wurden 2008 mit dem Weltmusik-Preis Ruth für ihr Lebenswerk ausgezeichnet. Und die Clubszene von heute?Wilde Ekstase mit Rhythmen vom Balkan

Poppiger als die Vorbilder aus Rumänien
„Ich bin ja eher die Treppe hochgefallen“, sagt Hantel rückblickend. Denn plötzlich ging alles rasend schnell: ausverkaufte Clubabende und umjubelte Festivalshows von Glastonbury bis Roskilde, TV-Auftritte von den Niederlanden bis zur Türkei. Hantel hatte die zündende Idee zum richtigen Zeitpunkt und entwickelte sich in den vergangenen Jahren zum umtriebigsten Vertreter des von ihm mitbegründeten Genres Balkan-Pop. Er ist dabei sogar noch poppiger unterwegs als all seine Vorbilder, von Goran Bregović bis zu all den Roma-Bands wie Fanfare Ciocărlia oder Kočani Orkestar: Im Titel Planet Paprika wird beispielsweise hemmungslos Hello Africa zitiert, größter Hit des nigerianisch-schwedischen Musikers Alban Nwapa alias Dr. Alban und 1990 erschienen bei Logic Records in Offenbach.Die Nutzung von Samples mit traditioneller Musik, wie häufig u.a. von Stefan Hantel praktiziert, gilt unter Roma-Musikern jedoch nicht als unproblematisch, da populäre Künstler wie Hantel mit ihrer Musik nicht unerheblich verdienen, während sie selbst in der Regel leer ausgehen.
Blasmusik, Ghetto-Tech und „Madhouse“

Es war also eigentlich nur eine Frage der Zeit, bis ein originär deutscher Beitrag zum weltweiten Ghetto-Tech-Trend innerhalb der Global Dance Music kommen würde. Munich Bass gilt mittlerweile als Münchner Variante zu den Tropical Beats aus London. Diese Musik ist laut, aggressiv, extrem clubtauglich – und kommt von Schlachthofbronx. Dahinter stecken die beiden Produzenten und DJs Jakob und Bene. Die Süddeutsche Zeitung nannte diese neue Mixtur dann einfach mal Welttanzmusik, weil darin Schnipsel aus allen möglichen und unmöglichen Zusammenhängen auftauchen.
Eine weitere Mixtur wurde kürzlich vom Münchner Label Outhere veröffentlicht: die CD Welcome to the Madhouse des Projekts BLNRB (Berlin-Nairobi). Initiiert vom Goethe Institut und den Gebrüdern Teichmann hatte man für einige Tage ein Haus in Nairobi zum kreativen Produktionsstudio umfunktioniert – genannt: das verrückte Haus, das Madhouse. Rapper Lon Jon beschreibt es so: „Da waren mindestens 25 Leute parallel im Haus, es gab drei Aufnahmestudios und wir sind immer hin- und herpendelt zwischen den Räumen“. Die Beats auf der CD kommen unter anderem von Jahcoozi mit Sängerin Sasha Perreira und Modeselektor aus Berlin. Vorläufige Bilanz des nigerianischen Rappers Lon Jon nach gemeinsamen Auftritten in Köln, Berlin und Nairobi: „Man hat die jeweilige andere Kultur besser kennengelernt!“.