Im November 2011 fand in Berlin als Abschluss eines gemeinsamen Projektes des Hauses der Kulturen der Welt und des Goethe-Instituts der Kongress mit Festival „Translating Hip Hop“ statt, bei dem sich Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftler sowie Rapperinnen und Rapper mit dem weit gefassten Thema Übersetzung auseinandersetzten.
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Der Fotograf Joe Conzo war dabei, als der Hip-Hop auf den Straßen von New York geboren wurde. So machte es Sinn, dass er als erster Gast auf der „Translating Hip Hop“-Festivalbühne im Berliner Haus der Kulturen der Welt stand. In der Bronx hatte Conzo als Teenager seine Freunde fotografiert. Er war mittendrin, auf der Straße, wenn ein „Cypher“ stattfand, ein Kreis, wo sich Rapperinnen und Rapper gegenseitig ihr Können bewiesen, bei Auftritten der Gruppe The Cold Crush Brothers, oder bei den in der Bronx fast alltäglichen Hausbränden. Seine bald 30 Jahre alten Schwarzweißbilder dienen heute als Dokumente der Anfänge der Hip-Hop-Subkultur.
Geschichte und Verstehen
Foto: HKW / Jakob Hoff
Überhaupt schien es im Rahmen von Festival und Kongress Zeit für ein vorläufiges Resümee zu sein. Die New Yorker Hip-Hop-Forscherin Tricia Rose erinnerte zunächst an die Tage, in denen noch in knallengen Jeans gerappt wurde und Highschoolturnhallen spontan zu Konzerthallen umgewandelt wurden. Der Blick auf die Entwicklungen, die der US-amerikanische Mainstream-Hip-Hop seitdem genommen hat, fiel dagegen nüchterner aus. Dieser sei heutzutage geprägt von Drogen, Sexismus und Gangstarap, beklagte Rose. Und da aus den USA kulturelle Bewegungen und Diskurse exportiert würden, müsse man diese Tendenz äußerst kritisch beobachten.
Für die 16 MCs, die an den Veranstaltungen von „Translating Hip Hop“ teilnahmen, war das allerdings kein Thema. Mit Drogen, frauenfeindlichen Texten und Gangstergehabe hatten sie nichts am Hut. Im Gegenteil. Sie rappten oder tanzten in Berlin eben deswegen auf der Bühne, weil sie sich kritisch und kreativ mit ihren jeweiligen Lebenswelten befassen. Vom Goethe-Institut und dem Haus der Kulturen der Welt waren die MCs in fünf verschiedenen Regionen der Welt ausfindig gemacht worden – in Bogotá, Manila, Nairobi, Beirut und Deutschland. Eine bunte Gruppe, vereint durch die globale Sprache des Hip-Hop, die aber die Texte ihrer internationalen Kolleginnen auf Sheng, Swahili, Tagalog, Spanisch, Arabisch und Deutsch zunächst nicht verstanden.
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Das zu ändern, war unter anderem Aufgabe der Workshops, die über das Jahr 2011 verteilt bereits in den jeweiligen Heimatorten der Rapperinnen und Rapper stattgefunden hatten. Jeder einzelne hatte eigene Texte beigesteuert, die in eine „Rohform“ auf Englisch übersetzt wurden, um dann von den Kollegen kreativ weiterverarbeitet zu werden. Auf diese Weise wurden die Beteiligten im kreativen Prozess mit grundlegenden Fragen konfrontiert, die sich beim Übertragen von einer Sprache in eine andere stellen. „Übersetzen hat viele Bedeutungen,“ meinte Rayess Bek aus Beirut, „wenn wir Hip-Hop-Texte als literarische Texte verstehen, merken wir, dass sie mehrere Verständnisschichten haben können. Die erste Schicht besteht aus den Wörtern, die im Text verwendet werden. Die zweite sind die Gefühle, die dahinter stecken. Und die dritte Schicht, die man auch benötigt, um einen Text zu verstehen, ist der kulturelle Hintergrund des Autors oder der Autorin.“
Sprachvielfalt und Identitäten
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Die Vielschichtigkeit des Themas „Übersetzung“ bildete den roten Faden des gesamten Projektes und wurde im Rahmen der Veranstaltung in Berlin auch für die Besucher erfahrbar gemacht. Auf unmittelbare Art beispielsweise konnte man dies im Rahmen der Konzertabende mit Kopfhörern nachempfinden. Sie stellten die Verbindung zu MCs in Übersetzerkabinen her, die die Songs, die gerade auf der Bühne vorgetragen wurden, simultan in ihre Sprache übertrugen – Multikulti musikalisch. Dabei war zweitrangig, ob man die Sprache verstand. Es ging um den Klang verschiedener Idiome, die die Stimmung eines Lieds verstärken oder gar verändern konnten.
In den wissenschaftlichen Vorträgen wiederum spielte Übersetzung im Sinne von Übertragung eine große Rolle. H. Samy Alim von der Stanford University erklärte etwa, wie in Cyphers negative Energien und psychische Belastungen der Rapperinnen und Rapper in positive, progressive Kräfte umgewandelt, übersetzt werden. „Dort wird nicht nur Druck abgebaut, sondern es werden Identitäten verhandelt,“ betonte der Sozialforscher, den seine Studien ebenso wie Joe Conzo oder die MCs mitten in die Szene geführt hatten.
Foto: HKW / Jakob Hoff
Und diese Identitäten sind ebenso vielschichtig wie schwer greifbar. So wie die Referentinnen und Referenten auf den Podien oft zu beiden Seiten gehörten oder zumindest ihre eigene Szene-Erfahrung mitbrachten, so war auch unter den Teilnehmern nicht immer sofort klar, wer Rapperin, Wissenschaftler oder einfach Besucherin war. Im Zentrum stand die Diskussion, die im Rahmen der Historisierung des musikalischen Diskurses zunehmend analytische Distanz ermöglichte, aber auch der praktische Nutzen für den kulturellen Alltag. Im Verlauf der Veranstaltung wurde immer deutlicher, dass in Berlin nicht nur ein Symposium zum Thema Hip-Hop stattfand, sondern zielstrebig daran gearbeitet wurde, ein Netzwerk von Fans, Wissenschaftlerinnen und Wissenschaftlern sowie Hip-Hop-Künstlerinnen und -Künstlern zu errichten.
Die Vernetzung der Szene
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Dabei wirkte es so, als hätten viele schon lange auf diese Zusammenkunft gewartet. Neu gewonnene Kontakte aus Wissenschaft und Szene mündeten in nachhaltige Projekte, wie das der Rapgruppe Lyrical Roses. Die Rapperinnen Diana Avella aus Bogotá, Malikah aus Beirut, Pyranja aus Berlin und Nazizi aus Nairobi hatten sich beispielsweise im Zuge der „Translating Hip Hop“-Workshops zu der Formation Lyrical Roses zusammengetan, weil sie durch die Übersetzung ihrer Texte merkten, dass sie als Frauen überall auf der Welt mit den gleichen Vorurteilen und Problemen in der „Männerdomäne“ des Rap konfrontiert waren. Bereits im Oktober waren sie dann mit Unterstützung des Goethe-Instituts in Bogotá auf einem Hip-Hop-Festival aufgetreten.
„Hip-Hop ist als Kultur, als Prinzip schon ein großes Netz,“ resümierte Susanne Stemmler vom Haus der Kulturen der Welt, neben Detlef Diederichsen eine der beiden Kuratoren des Festivals. „Durch die gemeinsamen Podiumsdiskussionen und Workshops wurde auch ein reales Netzwerk gebildet. Es wurden Menschen zusammengebracht, die sonst wenig Kontakt miteinander haben.“ Unter den Forschern, so Stemmler, hätte es eine große Nachfrage nach weiterer, auch internationaler Zusammenarbeit gegeben – und nach Wiederholung des Festivals, „als eine Art ‚state of the art‘ der Hip-Hop-Szene und der Hip-Hop-Forschung,“ fügte Stemmler hinzu. Alle E-Mail-Adressen wurden gesammelt, wegen des positiven Feedbacks ist ein Treffen zu einem möglichen „Translating Hip Hop 2“ geplant. „Es gibt noch so viele andere Aspekte, und vieles kann man noch vertiefen,“ sagte Stemmler. Ein Anfang ist gemacht.