Hip-Hop und Soul in Deutschland
Die Fantastischen Vier läuteten Anfang der 1990er-Jahre den kommerziellen Siegeszug des deutschsprachigen Hip-Hop ein – in ihren Fußstapfen wuchs in Deutschland eine von Mittelschicht-Jugendlichen geprägte Hip-Hop-Szene heran, die sich von den amerikanischen Vorbildern emanzipiert hat und vor allem mit Humor, Sprachwitz und originellen Geschichten aus der eigenen Lebenswirklichkeit punktet. Parallel dazu entwickelte sich um Sänger wie Xavier Naidoo und Joy Denalane auch eine eigenständige Soulszene in Deutschland.

Aus dem Mittelklasseghetto in die Charts
„Es ist die da / mit dem dicken Pulli an/ Mann – Freitags ist sie nie da´...“ Es waren solche harmlos klingenden Zeilen, die 1992 den kommerziellen Siegeszug des deutschsprachigen Raps einläuteten. Die Single Die Da?! der bisher kaum über ihren Heimatort Stuttgart bekannten Rapper Die Fantastischen Vier stürmte die Spitze der deutschen Pop-Charts. Und Hip-Hop schien plötzlich viel größer als Jugendzentren und Sprüher-Cliquen. Führten doch die Mittelschichtskinder aus Schwaben den Anspruch ad absurdum, dass deutscher Hip-Hop in Anlehnung an die amerikanischen Vorbilder „das CNN der Ghettos“ sein müsse. Sie trafen vielmehr mit Humor und Sprachwitz die Lebenswirklichkeit der bürgerlichen Mitte Deutschlands und wurden dabei von einer großen Plattenfirma unterstützt.In der Hip-Hop-Szene blieb der Erfolg der Fantastischen Vier auch deshalb umstritten: War der kommerzielle Anspruch nicht gleichbedeutend mit Ausverkauf? Und: Hatten sich nicht seit Anfang der 1980er-Jahre andere Rapper, DJs und Sprüher – und dabei vor allem Migranten-Jugendliche - um diese Kultur verdient gemacht? Tatsächlich war es die Heidelberger Hip-Hop-Crew Advanced Chemistry, die mit Songs wie Fremd im eigenen Land die deutsche Sprache in den Rap eingeführt hatte. Trotzdem leisteten Die Fantastischen Vier Pionierarbeit: Ihre Songs brachten viele deutsche Jugendliche zum ersten Mal in Kontakt mit Hip-Hop in der eigenen Sprache.
Hamburg macht sich locker


In Berlin blüht der Gangsta-Rap
Um die Jahrtausendwende blühte der Gangsta-Rap in Deutschland auf: Battle-Rapper wie Kool Savas, Bushido oder Azad übernahmen die Bühne – und immer mehr junge Wortschmiede wollten den Gangster markieren. Besonders das Label Aggro Berlin forcierte diese Entwicklung. Provokateure wie Sido, der stets mit silberner Totenkopf-Maske auftrat und in Hits wie Mein Block das harte Straßenleben des Märkischen Viertels in Berlin beschworen, oder Fler, der mit Schwarz-Rot-Gold und einer Mischung aus Bundes- und Reichsadler posierte, sorgten für Spekulationen über Verbindungen zwischen Rap und Nationalismus. Dabei war die skandalöse Inszenierung dieser Rapper von Anfang an Programm. Die Stilisierung Berliner „Problembezirke“ zu gefährlichen Ghettos zahlte sich kommerziell aus: Sido und Bushido verkauften ihre Alben hunderttausendfach. Ende 2009 allerdings löste ein neuer Trend den Gangster-Rap ab: Zwischen Hip-Hop, Reggae und Soul agierende Songwriter wie Patrice, Jan Delay oder Seeed und deren Frontmann Peter Fox verbanden auf charmante Weise deutsche Lyrics mit afroamerikanisch-jamaikanisch geprägter Musik.Gesungene Liebesgeschichten und Sozialkritik
Den deutschsprachigen Songwritern den Weg bereitet hatte der erfolgreichste Protagonist der hiesigen Soulszene: Xavier Naidoo. 1994 hatte der Sänger eine erste Single mit Sabrina Setlur eingespielt, später trat er mit den Söhnen Mannheims und der Polit-R’n’B-Gruppe Brothers Keepers auf. Sein Solo-Debut Nicht von dieser Welt behandelte Themen wie Nächstenliebe, Anti-Rassismus und Christentum und verkaufte sich über eine Million Mal. Auch wenn Naidoos religiöses Pathos gespaltene Kritiken fand: Seine Hits wie Sie Sieht Mich Nicht führten deutschen Soul zu einer Eigenständigkeit jenseits des bloßen Abkupferns von US-Vorbildern (wie es in Casting-Shows à la Deutschland Sucht Den Superstar oft üblich ist). Das Gegenmodell zu Naidoos gospelndem Gesangsstil lieferte der Rapper der Absoluten Beginner Jan Delay. Auf seinen Solo-Alben „Searching For The Jan Soul Rebels“ (2001), „Mercedes Dance“ (2006)“ und „Wir Kinder vom Bahnhof Soul“ (2009) versuchte er sich über einen Background von Reggae- und Funk-Musik erfolgreich als Soulsänger, und beförderte mit näselnd-lakonischer Stimme Konsumkritik und Stilbewusstsein.