Archivierung von Computerspielen
Schützenswertes Kulturgut

Computerspiele gibt es seit rund 60 Jahren, heute sind sie fester Bestandteil unserer Kultur. Allerdings wächst die Gefahr, einen Teil des Computerspiel-Erbes unwiederbringlich zu verlieren, weil Datenträger und Konsolen altern. Bibliotheken und Museen können bei der Rettung helfen.
Ein Herbsttag im Jahr 2016: Im Bibliothekszentrum Sachsenhausen der Stadtbücherei Frankfurt am Main haben sich mehrere Schulklassen versammelt. Nicht etwa, um Bücher zu lesen – sondern um neue Computerspiele zu testen. Die Kinder und Jugendlichen sitzen an PCs und Konsolen, erleben digitale Abenteuer und vergeben schließlich Punkte für die Spiele, die ihnen am besten gefallen haben. Anlass ist der Deutsche Kindersoftwarepreis „Tommi“, an dessen Ausrichtung bundesweit rund 20 öffentliche Bibliotheken teilnehmen. Die Jury bilden 3.600 Kinder und Jugendliche.
Der Kindersoftwarepreis ist ein Beispiel dafür, wie sichtbar Computerspiele mittlerweile an deutschen Bibliotheken sind. Seit 2008 gelten Computerspiele in Deutschland offiziell als Kulturgut. Als solches hatte sie der Deutsche Kulturrat, ein Dachverband aus insgesamt 246 Kulturverbänden, anerkannt, weil Künstler unterschiedlicher Branchen – vom Grafiker über den Komponisten bis zum Drehbuchautor – an ihrer Produktion mitwirken. Bibliotheken erfüllen die Aufgabe, das Kulturgut Computerspiel zugänglich zu machen.
Mammutaufgabe Archivierung
Die Rolle eines lückenlosen Archivs können die Bibliotheken derzeit jedoch nicht übernehmen. Dabei hat die Bundesregierung in ihrem Koalitionsvertrag von 2013 ausdrücklich betont, sie wolle „das digitale Spiel für nachfolgende Generationen erhalten“. Doch hinter diesem Anspruch verbirgt sich eine Mammutaufgabe. Zum einen erscheinen jedes Jahr Abertausende neuer Games. Zum anderen drohen immer mehr Spiele unwiederbringlich verloren zu gehen – weil alte Datenträger wie Disketten und CD-ROMs nach Jahrzehnten nicht mehr lesbar sind, oder weil es keine passenden Rechner und Konsolen mehr gibt.Tobias Steinke ist an der Deutschen Nationalbibliothek (DNB) für Langzeitarchivierung verantwortlich. Dabei geht es um Bücher und digitale Publikationen, also beispielsweise eBooks, Webseiten und Multimedia-Lexika. Das Gesetz über die Deutsche Nationalbibliothek von 2006 schreibt vor, dass solche Medien gesammelt, archiviert und bereitgestellt werden sollen. Einen gesetzlichen Auftrag zur Langzeitarchivierung von Computerspielen gebe es hingegen nicht, sagt Steinke. „Allerdings sammeln wir auch Lehrbücher, und da ist die Grenze zu Lernspielen fließend.“ Eine Hürde sei es, dass „in Deutschland keine Institution ein offizielles Mandat für das Sammeln von Computerspielen hat“. In die Bresche springen vor allem Museen, etwa das Haus der Computerspiele in Leipzig oder das Computerspielemuseum Berlin (CSM), dessen Sammlung inzwischen mehr als 23.000 Computerspiele umfasst.
Migration und Emulation
Andreas Lange, Direktor des Computerspielemuseums, erklärt, warum die Dauer-Archivierung von Computerspielen eine große Herausforderung ist. „Viele historische Computerspiele unserer Sammlung sind auf magnetischen Datenträgern gespeichert – und diese Datenträger verlieren jeden Tag an magnetischer Spannung. Deshalb müssen wir die Spiele, so lange sie noch intakt sind, von den Original-Datenträgern auf stabilere Datenträger transferieren. Das ist der erste Schritt hin zu einer Langzeitbewahrung.“Der zweite Schritt zu einer Langzeitbewahrung betrifft die Hardware und das Betriebssystem, für die ein Spiel ursprünglich programmiert wurden. Sie können über die Jahrzehnte hinweg veralten oder funktionsuntüchtig werden. Um alte Games-Klassiker dennoch spielbar zu halten, haben Spielefans sogenannte Emulatoren entwickelt: Software, die Funktionen alter Hardware simuliert, und diese auf aktuelle Computerplattformen überträgt.
Auch die EU hat erkannt, dass dem Kulturerbe Computerspiel Gefahr droht. Von 2008 bis 2012 förderte sie deshalb das Projekt KEEP (Keeping Emulation Environments Portable), dessen Ziel es war, digitale Objekte auf lange Zeit verfügbar zu machen – und zwar durch einen übergeordneten Software-Standard für Emulatoren. Die Langzeitarchivierung digitaler Ressourcen ist auch das Ziel von Nestor, einem Netzwerk deutscher Bibliotheken, Archive und Museen. In der „Fachgruppe Emulation“ von Nestor arbeiten Tobias Steinke von der DNB und Andreas Lange vom Computerspielemuseum direkt zusammen. Beide Seiten profitieren vom Wissensaustausch. Dass die Emulation multimedialer Werke sinnvoll und machbar ist, zeigte erst kürzlich das von der DFG-geförderte Projekt EmiL.
Herausforderung Urheberrecht
Die Langzeitarchivierung von Computerspielen ist nicht nur ein technisches, sondern auch ein juristisches Problem. Zwar gestattet das deutsche Urheberrecht, eine Sicherungskopie eines Spiels anzufertigen. Doch dürfen dafür keine Kopierschutzmechanismen umgangen werden, die es bei Games seit Jahrzehnten in verschiedener Form gibt. Das Gesetz bietet den Ausweg, die Rechteinhaber – also die Spielefirmen – um Erlaubnis zu fragen. Doch viele ältere Games sind sogenannte „verwaiste Werke“, bei denen nicht klar ist, wer aktuell die Rechte hält. Dies zu ermitteln, ist ausgesprochen zeitaufwendig – und oft aufgrund des Fehlens zentraler Rechteverzeichnisse gar nicht möglich.Die Bewahrer des Kulturguts Computerspiel entmutigt das alles nicht. So soll in der deutschen Hauptstadt die „Internationale Computerspielesammlung Berlin Brandenburg“ (ICBB) entstehen. Für die ICBB wollen das Computerspielemuseum, die Zentral- und Landesbibliothek (ZLB), die Unterhaltungssoftware Selbstkontrolle (USK) und die Universität Potsdam ihre Bestände zusammenlegen: Mit 70.000 Objekten wäre sie die größte Computerspiele-Sammlung der Welt. Noch befindet sich das Projekt in der Planungsphase. Die Vision ist, dass ICBB-Nutzer via Emulation auf die Spiele zugreifen können. Ihnen stände dann ein riesiger kultureller Schatz direkt zur Verfügung.
Die Digitalisierung stellt Bibliotheken, Museen und Archive vor neue Herausforderungen. Um unser kulturelles Erbe zu bewahren, braucht es neue Strategien, sagt der Jurist Paul Klimpel.