EuGH-Urteil zu E-Books
„Bibliotheken dürfen E-Books verleihen“

Bislang können Bibliotheken E-Books nicht wie gedruckte Bücher verleihen, weil diese nicht unter das Verleihrecht fallen. Das könnte sich nach einem Urteil des Europäischen Gerichtshofs aber ändern, sagt die Bibliothekarin und Juristin Gabriele Beger.
Frau Beger, der Europäische Gerichtshof hat sich im vergangenen Jahr mit der Ausleihe von E-Books befasst. Wie ist bisher die Situation beim Verleih von E-Books in Bibliotheken?
Bei den öffentlichen Bibliotheken der Städte und Gemeinden gibt es nach wie vor große Schwierigkeiten, denn sie können ein E-Book nicht wie ein gedrucktes Buch kaufen und anschließend ausleihen. Sie müssen von den Verlagen immer eine Lizenz erwerben. Und da viele Verlage fürchten, dass Bibliotheken ein E-Book vielfach verleihen und damit potenzielle Kunden für den Verlag ausbleiben, erteilen sie zum Teil keine Lizenz zur Weitergabe. Für wissenschaftliche Bibliotheken ist das kein großes Problem: Die Verlage bieten ihnen E-Book-Lizenzpakete an, die identisch mit denen sind, die man früher als Lehrbücher und wissenschaftliche Nachschlagewerke in gedruckter Form bekommen hat. Diese Pakete sind manchmal zwar ärgerlich, weil man immer auch Medien mitkaufen muss, die man normalerweise nicht erwerben würde. Aber in der Regel sind die Pakete für Hochschulbibliotheken durchaus sinnvoll. Hier bereiten die Preissteigerungen große Probleme.
Das EuGH-Urteil vom November 2016 wurde sowohl bei Bibliotheken als auch in der Verlagswelt mit Spannung erwartet. Können Bibliotheken E-Books jetzt genau so wie gedruckte Bücher ausleihen?
Der EuGH hat zunächst nur geprüft, ob es die EU-Richtlinie zum Vermiet- und Verleihrecht überhaupt gestattet, E-Books zu verleihen. Auslöser dafür war eine Klage aus den Niederlanden. Das Gericht hat jetzt entschieden, dass es nicht gegen EU-Recht verstößt, wenn ein nationaler Gesetzgeber das Verleihen von E-Books gestattet. Das heißt aber nicht automatisch, dass der EuGH den deutschen Gesetzgeber auch dazu auffordert, es zu erlauben. Im deutschen Urheberrecht ist das derzeit so geregelt, dass die Weiterverbreitung eines Werkes nicht verboten werden darf, wenn es mit Zustimmung des Urhebers in Verkehr gebracht wurde. Dieses Recht gilt bisher aber nur für gedruckte Bücher, nicht für E-Books.
Welche Einschränkungen gibt es nach dem EuGH-Urteil künftig beim Verleih von E-Books?
Im Urteil sind ganz klare Voraussetzungen definiert. So muss die Bibliothek rechtmäßig im Besitz dieses E-Books sein. Sie darf sich die Medien also nicht einfach von einer anderen Bibliothek ausleihen und weitergeben. Bibliotheken dürfen ein E-Book auch nur jeweils an einen Nutzer gleichzeitig ausleihen. Wenn man mehreren Nutzern zur gleichen Zeit ein bestimmtes E-Book zur Verfügung stellen will, braucht man mehrere Lizenzen. Zudem muss technisch gewährleistet sein, dass sich der Titel auf dem Computer des Bibliotheksbenutzers nach Ablauf der Leihfrist wieder löscht und der Urheber eine angemessene Vergütung erhält.
Der Börsenverein des Deutschen Buchhandels als Interessenvertreter der Verlage hat scharf kritisiert, dass dieses Urteil dazu führen würde, dass Verlage und Autoren nicht mehr marktgerecht entlohnt werden würden.
Natürlich ist es für die Verlage schöner, für ein Werk jedes Jahr eine Einnahme durch Lizenzgebühren zu erhalten, anstatt nur einen einmaligen Anschaffungspreis wie bisher. Aber dann muss man anders kalkulieren und darf ein E-Book nicht preiswerter verkaufen als ein gedrucktes Buch. Viele Verlage gestatten inzwischen, dass man E-Books verleihen kann. Und diese Verlage sind in keiner Weise wirtschaftlich bedroht.
Zudem befürchtet der Börsenverein, dass das Angebot an E-Books durch die Umsetzung des EuGH-Urteils zurückgehen würde …
Das geht garantiert nicht zurück. Es ist immer entscheidend, was die Nutzer möchten. Derzeit ist der Markt an E-Books zwar etwas erschöpft, zuvor ist der Umsatz aber viele Jahre lang gestiegen.
Was bedeutet das für die Lizenzverhandlungen mit den Verlagen?
Eine Möglichkeit wäre, dass man E-Books, die dem gedruckten Buch gleichgesetzt sind und keinen Mehrwert haben, unter das Verbreitungsrecht stellt. Dafür zahlen die Bibliotheken dann wie bei gedruckten Büchern bei der Ausleihe Tantiemen. Es gibt noch die zweite Alternative, nämlich sogenannte Zwangslizenzen einzuführen. Das heißt, die Verleger sind verpflichtet, Bibliotheken eine Lizenz zu angemessenen Bedingungen einzuräumen. Die Verleger können den Bibliotheken dann nicht mehr verweigern, ein bestimmtes E-Book zu erwerben.
Ab wann ist mit einer Umsetzung des EuGH-Urteils in Deutschland zu rechnen?
Ich denke, dass wir nach der Bundestagswahl im September 2017 erneut auf den Gesetzgeber zugehen und um eine Umsetzung bitten.
Was bedeutet die Entscheidung für den künftigen Verleih von E-Books in Bibliotheken?
In den wissenschaftlichen Bibliotheken hat das E-Book schon seit vielen Jahren einen festen Platz bei der Bestandserweiterung. Auch im öffentlichen Bibliothekswesen besteht ein großes Interesse an E-Books, etwa bei Romanen. Wenn es Verlage Bibliotheken weiterhin nicht gestatten können, beispielsweise einen Klassiker der deutschen Literatur zu entleihen, dann ist das ein gravierender Eingriff in die Informationsfreiheit. Medienkompetenz ist eine Schlüsselkompetenz und dazu gehört auch, dass man sich ein E-Book entleihen kann.
Prof. Dr. Gabriele Beger ist Bibliothekarin und Juristin. Sie leitet seit 2005 die Staats- und Universitätsbibliothek Hamburg. Bis zum Wintersemester 2016 lehrte sie Medienrecht an der Humboldt-Universität zu Berlin und der Universität Hamburg. Ehrenamtlich vertritt sie das Bibliothekswesen unter anderem im Deutschen Kulturrat, in der Kommission Bibliothekstantieme der Kultusministerkonferenz und im Fachausschuss Kultur der Deutschen Unesco-Kommission.