Gefangenenbibliothek Fröndenberg
„Den 23 Stunden auf der Zelle entfliehen“

Gefangenenbücherei im Justizvollzugskrankenhaus in Fröndenberg.
Gefangenenbücherei im Justizvollzugskrankenhaus in Fröndenberg. | Foto (Ausschnitt): © Eva-Maria Verfürth

Die Gedanken sind frei – der Autor dieses Textes ist es nicht. Immer wieder kam er ins Gefängnis. Während der Haft arbeitet er in der Gefangenenbibliothek; erst in der Justizvollzugsanstalt in Münster, nun im Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg.

Schon als Kind habe ich viel gelesen und war gerne in Büchereien. Ich hatte damals oft Hausarrest, da haben die Bücher mir geholfen, der Situation zu entfliehen. Meinen Kindern lese ich ebenfalls häufig vor, und ich habe mir angewöhnt, für Wartezeiten immer ein Buch in der Hosentasche zu haben. Deshalb passt das gut, dass ich hier drinnen in der Bücherei arbeite. 

Eingangsbereich des Justizvollzugskrankenhauses in Fröndenberg. Eingangsbereich des Justizvollzugskrankenhauses in Fröndenberg. | Foto (Ausschnitt): © Eva-Maria Verfürth Als ich das erste Mal eingefahren bin, 2011 in die JVA Münster, habe ich mich auf eine Stelle in der Gefangenenbibliothek beworben. Der Büchereijob ist eine Vertrauensposition, weil die Mitarbeiter nicht eingeschlossen und häufig unbeaufsichtigt sind. Da ich im Methadonprogramm war, hat man anfangs gezögert; nach einigem Nachhaken habe ich den Job aber bekommen. Seit 2011 bin ich stetig; rein und raus aus der Haft und wurde in der JVA schon immer empfangen mit: „Da ist ja wieder unser Büchereimitarbeiter.“

Die Arbeit macht mir Spaß, denn ich habe viel Eigenverantwortung, die hatte ich „draußen“ noch nie. Wenn es mal nicht so viel zu tun gibt, lese ich. Ich beschäftige mich gerne mit Literatur, vor allem mit Belletristik, aber auch mit Sachbüchern über Geschichte oder Technik. Ich mag schräge Bücher mit Anspruch, Thomas Pynchon ist mein absoluter Lieblingsschriftsteller.
 
Arbeit in der Bibliothek Arbeit in der Bibliothek | Foto (Ausschnitt): © Eva-Maria Verfürth Im Moment komme ich vor lauter Arbeit kaum zum Lesen. Anfang 2018 wurde ich ins Justizvollzugskrankenhaus Fröndenberg verlegt, um dort die stillgelegte Bücherei wieder aufzubauen. Ich verbringe den ganzen Tag mit der Inventur. Erst wenn ich damit fertig bin, kann der Betrieb wieder losgehen. Der wird hier etwas anders sein, als ich es gewohnt bin: In Münster war die Gefangenenbücherei eine für alle zugängliche Präsenzbibliothek mit einer Freihandausleihe. Hier im Krankenhaus können die Ausleiher nicht selber kommen, stattdessen erhalten sie einen Bestellkatalog, und ich bringe ihnen das Gewünschte in die Abteilungen.

Wir haben in Fröndenberg einen Bestand von über 4.000 Medien, darunter natürlich Bücher, viele Musik-CDs, Gesellschaftsspiele, einige DVDs und sogar Musikkassetten. Es ist auch jede Menge Fremdsprachiges dabei - in über 20 Sprachen. 
 
In der JVA Münster wurde viel Fantasy ausgeliehen; Game of Thrones oder romantische Fantasy wie die Twilight-Reihe. Beliebt sind außerdem Thriller – möglichst blutig, à la Cooley Macfarien – und Berichte über Hells-Angels-Aussteiger oder Mafiakiller. Aber es hängt auch von der Nationalität ab. Die Russen interessieren sich oft für ihre Klassiker, zum Beispiel Puschkin, und für russische Gangster-Groschenromane. Polnische und türkische Literatur wird ebenfalls gerne genommen, auch der Koran auf Arabisch. Bildbände über fremde Länder waren immer einige dabei, damit kann man sich zumindest gedanklich woanders hinbringen. Aber natürlich gibt es auch Ladenhüter. Ich habe hin und wieder bei der Auswahl neuer Bücher Klassiker wie Moby Dick angeregt, aber die meisten davon wurden kaum beachtet.

Der Bestand der Gefangenenbücherei in Fröndenberg ist derzeit in einem winzigen Containerraum untergebracht. Der Bestand der Gefangenenbücherei in Fröndenberg ist derzeit in einem winzigen Containerraum untergebracht. | Foto (Ausschnitt): © Eva-Maria Verfürth In Münster haben etwa 90 Prozent das Angebot genutzt, viele Insassen sind regelmäßig gekommen. Das Bibliotheksangebot ist im Gefängnis sehr wichtig, um den 23 Stunden auf der Zelle zu entfliehen. Es gibt viele Leute, die draußen gar nicht gelesen haben, aber drinnen damit anfangen – und wenn sie mit Walt Disneys Lustigen Taschenbüchern starten und darüber mehr entdecken. Gerade mittellose Gefangene profitieren, denn sie können sich ja  nichts Eigenes kaufen. 

Mir selbst hat die Büchereiarbeit wirklich sehr viel gegeben. Draußen würde ich sowas auch gerne machen, aber die Möglichkeit werde ich aufgrund meiner Vergangenheit wohl nicht haben. Außerdem ist es fraglich, ob ich jemals so viel Verantwortung bekommen würde. Ich habe mal einen Ein-Euro-Job im Stadtarchiv in Aachen gemacht und als Jugendlicher eine Lehre in einer Buchhandlung angefangen. Aber es war nicht dasselbe.
 

Gefangenenbibliotheken

Europäische Strafvollzugsgrundsätze sehen vor, dass jede Justizvollzugsanstalt in Europa mit einer Bibliothek zu „Unterhaltungs- als auch Bildungszwecken“ ausgestattet sein soll. In Deutschland ist dies in den meisten Anstalten der Fall; jedoch nur in drei Bundesländern koordinieren hauptamtliche Bibliotheksfachkräfte die Bibliotheksarbeit. Die Medienbestände richten sich nach der Anzahl der Insassen und variieren zwischen 1.000 und 30.000 Titeln. Besonders hervorgetan hat sich die ehemalige Bibliothek der JVA Münster, die im Jahr 2007 den Deutschen Bibliothekspreis als „Bibliothek des Jahres“ erhielt. Die Bibliothek bestand seit Gründung der Anstalt im Jahr 1853, wurde jedoch 2016 wegen Einsturzgefahr geschlossen.