Omaid Sharifi ist Mitbegründer der afghanischen Künstlergruppe Art Lords, die durch ihre Anti-Korruptions-Graffiti auf Schutzmauern bekannt wurde.
Omaid Sharifi sitzt vor einem riesigen Teller Pasta Bolognese in der Mensa der TU Berlin. Gerade noch tagte er – hinter von zwei Polizist*innen bewachten Türen – mit gut 50 Vertreter*innen aus Wirtschaft, Wissenschaft, Kultur und Medien auf einem vom Auswärtigen Amt initiierten Symposium zum Thema: „Experiencing Afghanistan in a New Way – Wie kann man Afghanistan neu betrachten?“
© Goethe-Institut Besucherprogramm
Schmeckt’s, Herr Sharifi?
Oh ja, sehr. Wir haben in Kabul zwar auch eine Mensa, aber die ist nicht so groß und schön wie diese – und die Auswahl hier ist schlicht umwerfend. Bei uns gibt es höchstens zwei Gerichte. Auch liebe ich den Trubel. So viele junge Leute auf einem Haufen!
Sie haben mit Kabil Mokamel in Kabul die Gruppe Art Lords gegründet. Mit welchem Ziel?
Wir nutzen Kunst, um soziale Reformen und Kampagnen zu initiieren und Kulturraum zurückzuerobern. Viele Leute verbinden War Lords und Drug Lords mit Afghanistan, wir wollen uns den Begriff wieder aneignen – mit positiven Konnotationen.
Was machen die Art Lords genau?
In Afghanistan haben wir sehr viele, sehr hässliche Schutz- und Sicherheitsmauern. Wir unterstützen Künstler darin, sie zu bemalen – wenn wir sie schon nicht einreißen können. Auf so einer Mauer lassen sich wunderbar alle möglichen Botschaften verbreiten. Unsere Graffiti gegen Anti-Korruption sind mittlerweile sehr bekannt. Wenn jemand riesige Augen mit dem Slogan „I SEE YOU“ sieht, weiß er genau, was gemeint ist. Wir nutzen die Mauerbilder auch, um den Leuten klar zu machen: Ihr könnt etwas verändern! Es ist euer Land, eure Gesellschaft und Zukunft – für die ihr Verantwortung tragt.
Einige Fotos von der afghanischen Mauerkunst waren auch in einer Berliner Galerie ausgestellt. Gibt es darüber hinaus eine Unterstützung?
Bisher stecken wir nur unser Geld und unsere Energie in das Projekt. Aber wir hatten auf dieser Reise sehr gute Gespräche. Auch mit dem Goethe-Institut in Kabul sind wir eng vernetzt, es ist eine wichtige Anlaufstelle für afghanische Künstler. Ich würde mich über eine Zusammenarbeit von afghanischen und Berliner Künstlern sehr freuen.
Ist das als Aufruf zu verstehen?
Unbedingt! Ich muss auch sagen: Deutschland ist das einzige Land, das sich kulturell in Afghanistan engagiert. Die Franzosen wollten ein Institut aufmachen, was traurigerweise attackiert wurde. Es gibt ein riesiges Potenzial zur Zusammenarbeit. Mein Traum ist: Kabul wird die Graffiti-Hauptstadt der Welt und Künstler kommen von überall her. Mauern haben wir mehr als genug.
Bisher denkt man beim Stichwort Afghanistan vor allem an Bomben und Krieg…
Leider ja, aber das ist nur die eine Seite. Es gibt viel Kunst hier, eine lebendige Zivilgesellschaft und viele gute Ideen. Deutschland hat in Afghanistan schon viel bewegt, was auch in den deutschen Medien viel zu wenig bekannt ist. Als Kundus fiel, unterstützten gleichzeitig deutsche Organisationen ein Konzert, zu dem 25 000 Menschen kamen, auch Frauen, die bis 23 Uhr auf der Straße waren.
Oder nehmen Sie diese Informationsreise – sie ist ein Riesenerfolg. Wir haben sehr offen und ehrlich mit den unterschiedlichsten Partnern aus Gesellschaft, Politik und Kunst gesprochen und uns auch untereinander in der Gruppe gut vernetzt. Wir sind das neue Afghanistan!
Anlass der Reise war die 100-jährige afghanische-deutsche Freundschaft. Sehen viele Afghanen in Deutschland wirklich einen Freund oder gar Verbündeten?
Es kommt viel internationales Geld ins Land, aber damit auch Korruption und Bevormundung. Die Deutschen, die weitaus weniger als die Amerikaner geben, denken als einzige wirklich daran, wie sie damit keinen Schaden anrichten. Sie respektieren unsere Gesellschaft und Werte und denken darüber nach, wie sich ihre Arbeit auswirkt. Sie unterstützen deshalb viele Graswurzel-Organisationen und Jugendprojekte. Uns verbinden bereits 100 Jahre Freundschaft – lasst sie weitere hundert Jahre währen!
„Wer, wenn nicht wir, soll unser Land aufbauen?“
© Goethe-Institut Besucherprogramm
Martine Zikria ist afghanische Produzentin und Schauspielerin. Ein Porträt.
Die Produzentin und Schauspielerin Martine Zikria flog zusammen mit zehn afghanischen Gästen aus Kabul ein, eingeladen vom Auswärtigem Amt – als eine Art Kulturbotschafterin. Es gilt 100 Jahre deutsch-afghanische Freundschaft zu feiern. Eine Woche lang waren afghanische Künstler, Produzenten, Wissenschaftler, Ministeriumsmitarbeiter und Vorstände in Berlin unterwegs, um sich mit deutschen Gesprächspartnern und Kollegen in Nichtregierungsorganisationen, Stiftungen, Medien, Bundestag und Auswärtigem Amt auszutauschen und zu vernetzen. Immer wieder ging es neben ganz konkreten Projekten, Hilfen und Kooperationen auch um die Frage, wie es gelingen kann, ein neues, mediales Bild von Afghanistan zu schaffen – jenseits von dem, das von Taliban, Bomben und Frauenunterdrückung erzählt.
Frau und Single in Kabul
Martine Zikria, Hauptdarstellerin und Produzentin des Films „Utopia“ lebt es einfach vor: Sie ist Single und mietet sich in Kabul alleine eine Wohnung – in Afghanistan eigentlich undenkbar. „Junge Mädchen um die 25 haben regelrecht Angst, unverheiratet zu sein. Eine Frau kann nicht als Single in Afghanistan leben. Ich mache es, es ist meine Wahl und ich habe Glück. Ich komme aus einer Familie, in der ich akzeptiert werde. Aber natürlich würde es auch meine Mutter lieber sehen, wenn ich Mann und Kinder hätte – aber ich sage immer zu ihr: Ich bin mit meinem Job verheiratet.“
Sie ist in Kabul geboren, lebte lange im Exil in Frankreich und kehrte 2005 mit Ende 20 zurück. Denn wer, wenn nicht junge, gut ausgebildete Leute wie sie, soll das Land aufbauen? In Paris studierte sie erst Zahntechnik, dann Business Administration. In Kabul gründete sie vor zwei Jahren eine Produktionsfirma für Dokumentarfilme und Radiofeatures. Sie will Geschichten aus ihrem Land erzählen, besonders die der Frauen.
Produzentin und Schauspielerin in „Utopia“
Ihr Film „Utopia“ wurde als afghanischer Beitrag in der Kategorie „bester fremdsprachiger Film“ für die Oscar-Verleihung 2016 eingereicht. Sie produzierte ihn nicht nur mit, sondern spielt darin auch die Hauptrolle – obwohl sie nie vor der Kamera gestanden hatte. „Wir haben ohnehin nicht viele Schauspielerinnen in Afghanistan – zwei, höchstens drei. Die Besetzung der Hauptrolle war daher schwer. Also sagte ich: Ich fühle sie, ich kann sie spielen. Und so wurde aus mir Janan, eine sehr starke Frau.“
Janans Mann wurde durch den Krieg gelähmt und zeugungsunfähig. Doch sie will unbedingt ein Kind. Dafür geht sie viele Risiken ein, reist bis nach Schottland, um sich in einer Klinik künstlich befruchten zu lassen. Ein junger Medizinstudent, dessen Vater in Afghanistan als Offizier viel Unheil angerichtet hat, vertauscht dort absichtlich den Spendersamen mit seinem eigenen. Janan erfährt dies zu ihrem Entsetzen zu spät.
Film als Waffe und Botschaft
Schon die Einreichung durch die Afghan Film Organization ist für Zikria ein Erfolg. Denn als sie das Drehbuch dem afghanischen Filmboard vorlegte, „weigerten sie sich, uns eine Drehgenehmigung in Afghanistan zu geben. Erst als ich zum Kulturminister persönlich rannte, bekamen wir die Genehmigung.“ Das war erst der Anfang einer Kette von Problemen während der Dreharbeiten. In Afghanistan zu filmen sei alles andere als einfach, erzählt Zikria. Die Menschen fürchteten die Kamera wie eine Waffe. Jeder Film sei ja auch tatsächlich eine Waffe – eine friedliche, die ein neues Bild von Afghanistan schaffen kann.