Cora Knoblauch
Street Art in George Town

Cora Knoblauch posiert in Zacharevic's Werk.
| Foto (Zuschnitt): © Cora Knoblauch
George Town auf der Insel Penang in Malaysia ist ein Touristenmagnet. Die 3-D-Street Art vom litauischen Künstler Ernest Zacharevic in der Stadt ist dank Instagram berühmt. Doch nicht alle Künstler sind darüber glücklich.
Von Cora Knoblauch X!
Zwei Kinder sitzen auf einem Fahrrad: Der kleine Junge sitzt auf dem Gepäckträger und klammert sich kreischend an seiner großen Schwester fest, die offenbar einen Heidenspaß hat. Das Bild an einer Hauswand in Georgetown, auf der malaysischen Insel Penang, ist ein Touristenmagnet. Das Besondere: Das Fahrrad ist echt, die Kinder dagegen mit Pinsel und Farbe beinahe fotorealistisch auf die fleckige Hauswand dahinter gemalt: 3-D-Street Art. Das Kunstwerk gehört zu den am meisten reproduzierten und fotografierten Street Art Werken in Georgetown. Und es hat die kleine asiatische Insel für seine Street Art berühmt gemacht. Doch nicht alle Künstler sind darüber glücklich.
„Da drüben siehst Du das berühmteste Wandbild von Ernest Zacharevic, die Kinder auf dem Fahrrad. Auf der anderen Straßenseite steht ein Baum aus Eisen mit einer Marmorfigur. Daneben sind noch zwei Kunstinstallationen anderer Künstler, auf dem Hausdach noch eine kleine Skulptur. Die Leute nehmen das alles aber gar nicht wahr. Sie sind nur gekommen, um das Zacharevic-Bild zu fotografieren. Medien erziehen Menschen dazu, bestimmte Dinge zu sehen. Was nicht erwähnt wird, existiert praktisch nicht.“
„Ernest Zacharevic hat mit seiner Kunst die Sehenswürdigkeiten in George Town verschoben.“
Bibichun, Mitte 30, Street Art Künstler aus Malaysia, lebt seit fünf Jahren in Georgetown, auf der Insel Penang. Als Bibichun nach Georgetown kam, hatte der litauische Künstler Ernest Zacharevic gerade im Auftrag eines Kunstfestivals mehrere Street Art Arbeiten in der Altstadt fertiggestellt. Zacharevic hatte etwas Neues ausprobiert: Er integrierte reale Gegenstände wie ein Fahrrad in seine fotorealistisch-gemalten Wandbilder. Touristen setzen sich auf das Fahrrad oder posieren daneben und werden so Teil der Szene. Dank Instagram und geschicktem Stadt-Marketing wurde diese Kunst innerhalb weniger Monate so berühmt, dass Georgetown heute nicht nur bekannt ist als chinesisch-britische Kolonialstadt und UNESCO Weltkulturerbe, sondern als DIE Stadt für Street Art in Südostasien. Zacharevic wurde zum Superstar der Szene.„Ernest hat mit seiner Kunst die Sehenswürdigkeiten in George Town verschoben. Eine Straße weiter von hier steht ein berühmter Clantempel, mehrere hundert Jahre alt. Das war einst DIE Sehenswürdigkeit von Georgetown. Direkt gegenüber vom Clanhaus hat Zacharevic sein Bild vom Jungen, der auf einem Stuhl balanciert, an die Wand gemalt. Jüngere Leute kommen jetzt hierher, um den Jungen auf dem Stuhl zu fotografieren. Den Tempel kennen sie gar nicht.“
„An den Kunsthochschulen in Asien werden eigentlich nur die westliche Kunstgeschichte und westliche Kunstrichtungen gelehrt. Der Kunstmarkt wird vom Westen dominiert. Whitewashing - all das ist ein Thema.“
Street Art überlebt nur auf Instagram und den Smartphones der Touristen
Bibichun lebt von Auftragswerken. Seine auftragsfreie Street Art überdauert in der Regel nur wenige Wochen, manchmal nur Tage. Dann werden seine Bilder von der Stadt übermalt. Meist, weil sie gegen die Zensur verstoßen.„Es gibt einen malaysischen Cartoonisten, der sich immer wieder regierungskritisch in seinen Arbeiten äußert. Als er vergangenes Jahr eine Ausstellung hier in Penang hatte, stürmten Hooligans die Galerie, zerstörten seine Bilder und schlugen ihn krankenhausreif. Also habe ich ein Plakat gemalt, worauf dieser Cartoonist zu sehen ist, sein Mund und Körper eingewickelt und gefesselt mit der Fahne der damaligen Regierungspartei. Das Plakat hing in einer kleinen Gasse, wo viele Street Art Künstler arbeiten. Es hat immerhin fast ein halbes Jahr überlebt, bevor es übersprüht wurde.“
Dass seine provokanten und zensurrelevanten Bilder nur noch auf seinem Smartphone existieren, stört ihn nicht. Street Art, sagt Bibichun, gehört eben nicht dem Künstler oder einem Galeristen. Sie gehört in gewisser Weise niemandem und allen:
„Ob meine Kunst auf der Straße überlebt, interessiert mich nicht. Ich setzte die Bilder aus und lasse sie los.“
Auch Zacharevics Kinder auf dem Fahrrad verblassen. Das tropisch-feuchte Klima Malaysias lässt Kunst und Wände schimmeln. Wenn George Town nicht mehr in die Konservierung seiner Street Art investiert, werden manche Bilder nur auf Instagram und den Smartphones der Touristen überleben.