Katrin Hartmann
Zwischen zwei Welten: Vom Kriegsgebiet auf den Waldcampus nach Eberswalde

In Manila fällt Gino Carlo Garcia nicht auf. Sein tiefschwarzes Haar hat er sich durch eine Haarklemme nach hinten gesteckt, seine weißen Zähne blitzen bei jedem Lächeln. An der University of the Philippines Diliman sieht er aus wie jeder andere Student. Und doch ist für den 33-Jährigen vieles anders.
Von Katrin Hartmann X!
Er sitzt, den Kopf in seine Hände gestützt, auf einer Bank und blickt auf den Park, in dem Studenten auf dem grünen Rasen liegen und lachen. An diesem Novembertag steht die Luft in Quezon City. Es ist schwül, die Luft feucht, an der Steinbank wächst langsam das Moos empor. Moosgrün ist auch das T-Shirt, das Gino Garcia trägt. Es ist das erste Mal seit zwei Jahren, dass er seine Heimat wiedersieht. „Komisch, wieder hier zu sein“, sagt er in akzentfreiem Deutsch. Die vergangenen 24 Monate hat er im brandenburgischen Eberswalde verbracht – einer anderen Welt, wie er sagt. Dort studiert er an der Hochschule für nachhaltige Entwicklung (HNE) „Global Change Management“ und steht kurz vor seinem Abschluss. In Manila ist er nur vorübergehend, um Daten für seine Masterarbeit zu sammeln. „Die letzten zwei Monate gingen viel zu schnell herum. Ich habe es nicht geschafft, alle zu sehen, die ich gerne sehen wollte“, sagt er. Ein Eisverkäufer, der allerlei Sorten in seinem Wagen vor sich her schiebt, bleibt bei ihm stehen. Gino Garcia lehnt kopfschüttelnd ab.
die Wärme kam schnell zurück
Während seines Studiums in Deutschland hat er viel erlebt, viel Neues. Schnee zum Beispiel. „Ich hatte Angst“, sagt er, lacht dann aber und streicht sich sein Haar aus dem Gesicht. „Ich kannte Schnee nur aus Blockbuster-Filmen. Schnee, das bedeutete für mich immer Sturm oder andere Katastrophen. Es ist unheimlich, wie mich dieses Bild geprägt hat.“ Er bringt seine Handflächen vor seinem Gesicht zusammen, schaut leicht nach oben und lacht. Auch einen „kleinen Kulturschock“ habe er nach seiner Ankunft in Deutschland erlebt. Plötzlich begegneten ihm fast nur noch weiße Gesichter, es gab viel Regen, Kälte und wenig Reis. Doch die Wärme kam schnell zurück, in Form eines herzlichen Willkommensgrußes. „Ich hatte es nicht erwartet, aber es war sehr einfach für mich, Freunde und ein WG-Zimmer zu finden“, erzählt der Student und nickt mit seinem Kopf – eine Geste der Dankbarkeit. Ein Patenprogramm an der Hochschule half ihm, die bürokratischen Hürden des Alltags zu überwinden, den öffentlichen Nahverkehr (ÖPNV) zu begreifen.
Zeitgleich rumorte es auf der anderen Seite des Globusses nahe seines Geburtsortes Iligan City auf Mindanao, der südlichsten Inselregion des Archipels. Vielen Philippinern sind die Bilder aus Marawi, einer mehrheitlich muslimischen Stadt, noch heute tief ins Gedächtnis gebrannt: Bomben, Schüsse, Tote, Verletzte, Geiseln, zerstörte Gebäude, Menschen ohne Hab und Gut. Die sogenannte „Schlacht um Marawi“ hat Gino Garcia nur entfernt über die Medien verfolgt. Auf den Studenten prasselte es nur so ein: Viel Fremdes während seines ersten Studienjahrs, viel Aufruhr in der Heimat, viel Aufregung in ihm selbst.
„Es ist traurig, aber für mich wurde der Konflikt normal“
Der 33-Jährige war zuvor selbst in die Verhandlungen des Friedenbildungsprozesses eingebunden. Über ein Projekt des Präsidentenbüros reiste er mehrmals für die philippinische Regierung in die Konfliktregion. Gemeinsam mit anderen Projektarbeitern protokollierte er Vorfälle von Gewalttaten und Zerstörung, und schickte Einschätzungen nach Manila. Doch vergeblich. Ende 2017 erklärte Präsident Rodrigo Duterte die New People’s Army (NPA) und die Kommunistische Partei der Philippinen (CPP) offiziell zu terroristischen Organisationen. „Es ist traurig, aber für mich wurde der Konflikt normal“, sagt Gino Garcia und blickt nachdenklich auf das Treiben im Park. Auf Mindanao durfte er damals keinen Schritt ohne militärische Begleitung machen. Manila war und ist dagegen eine andere Welt.
Ein Erlebnis auf Mindanao ließ ihn die Auseinandersetzungen tief spüren. „Der Bürgermeister einer Stadt wurde von Rebellen getötet“, erzählt er. „Etwas später traf ich seine verwitwete Frau. Die ganze Situation hat mich sehr mitgenommen.“ Er pausiert und sucht nach einem passenden Wort, „und geärgert“, ergänzt er schließlich. „Alles ist irgendwie politisch.“
Weil er sich auf sein Studium konzentrieren wollte, hat er bei diesem Thema jetzt erstmal auf Pause gedrückt. „Meine Familie ist sehr stolz. Für uns Philippiner ist es eine Besonderheit, in Deutschland zu studieren.“ Ein Stipendium der Heinrich-Böll-Stiftung ermöglichte ihm diesen Traum.
Das Interesse an Nachhaltigkeit wurde immer größer
Nachdem er 2011 bei den Aufräumarbeiten nach Taifun Washi geholfen hatte, bei dem in seiner Heimatstadt mehr als 1000 Menschen ums Leben gekommen waren, lernte er Kay Kristine Alave kennen. Sie war die erste philippinische Studentin an der HNE. „Kay erzählte mir von dem Studiengang. Es ließ mich nicht mehr los. Auch im Dschungel von Mindanao habe ich ständig darüber nachgedacht, wie ich nach Eberswalde komme“, erinnert er sich und lächelt. Gerade nach den Auswirkungen des Taifuns beeindruckte ihn die Idee, an einer Hochschule zu lernen, die ihren Schwerpunkt auf Umwelt und Nachhaltigkeit gesetzt hat.
40 Prozent der Studierenden an der HNE kommen aus anderen Ländern, 60 Prozent aus Deutschland. „Eine gute Mischung“, sagt Gino Garcia. Eines verbinde sie alle, das Interesse an Nachhaltigkeit und Umwelt. Mit einem Videoformat auf YouTube, in dem Experten in der Berliner Ringbahn zu aktuellen Umweltthemen befragt werden, versuchen Gino Garcia und seine Mitstudierenden mehr Aufmerksamkeit für einen nachhaltigen Wandel zu schaffen.
Bei Umweltthemen muss er auch an das größte Problem Manilas denken: den Verkehr. Ein Bild wiederholt sich dort täglich auf den Straßen. Stoßstange an Stoßstange kriechen Autos, Busse, Motorroller, LKW und andere Fahrzeuge im Schneckentempo über die Hauptverkehrsachsen, gehüllt in eine dicke Abgaswolke.
In seiner Abschlussarbeit wird sich der Masterstudent deshalb mit einer Umweltsteuer für die Philippinen beschäftigen – eine Steuer auf Karbon, Plastik, Müll und anderes. Ob das umsetzbar ist, weiß Gino Garcia noch nicht. „Ich bin nicht der Erste, der Ideen dazu hat. Letztendlich hängt vieles von der Politik ab“, sagt er. Wenn er etwas aus Deutschland auf die Philippinen mitnehmen dürfte, wäre es „auf jeden Fall der öffentliche Personennahverkehr und die Kultur des Fahrradfahrens. Zwei meiner Freunde in Manila konnte ich schon überzeugen, täglich Fahrrad zu fahren“, sagt er stolz.
Was nach seinem Abschluss kommt, weiß er noch nicht. Das Visum, mit dem er dann noch 18 Monate in Deutschland bleiben darf, will er in Anspruch nehmen. Sicher ist: Das Umweltthema wird ihn weiter beschäftigen – vielleicht als Vermittler zwischen dem Inselparadies und dem Eberswalder Forst? Mit seinem Hintergrund hat er jedenfalls die besten Voraussetzungen dafür.