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Glückspille gegen Herbstschwermut

Curtis Harding
© Matthew Correia

Dem amerikanischen Musiker Curtis Harding ist mit „Face Your Fear“ ein starkes Soulalbum gelungen. Nicht New York, nicht Los Angeles – Atlanta war die Stadt, die Curtis Harding wählte, um sein Glück als Musiker zu versuchen.

Das ist keineswegs eine so abwegige Wahl wie man von Europa aus meinen könnte. Denn die Hauptstadt des Bundesstaates Georgia ist eine einflussreiche Pop-Metropole. Arrested Development, Usher, Janelle Monaé und OutKast kommen aus Atlanta. Zuletzt hat die Stadt vor allem in Sachen HipHop von sich reden gemacht, was sie unter anderem dem Rap-Star Future zu verdanken hat.

Eine Institution der Szene von Atlanta ist der Soul-Sänger Cee Lo Green, vor allem bekannt geworden durch das Duo Gnarls Barkley. Bei ihm hat Curtis Harding, der sich zuvor schon als Rapper und Rocksänger versucht hatte, als Background-Sänger gearbeitet. Er habe viel von ihm gelernt, betont Harding, was man 2014 auf seinem Debütalbum „Soul Power“ deutlich hören konnte. Es war ein klassisches Soul-Album in der Tradition der goldenen sechziger und siebziger Jahre, das ihm zu Recht viele gute Kritiken einbrachte und ihn zwischen Retro-Kolleg/innen wie Sharon Jones, Mayer Hawthorne oder Aloe Blacc etablierte.

Genau hier schließt der 38-jährige Sänger und Musiker jetzt an. Sein neues Album „Face Your Fear“ ist dabei noch ausgefeilter gearbeitet und opulenter arrangiert als der Vorgänger. Ein weniger glatter auch, denn rockige Elemente gibt es diesmal nicht. Dafür viel Groove, der vor allem vom Bass erzeugt wird. In „Go As You Are“ tänzelt er so lässig über den zuckelnden Percussion-Schlagzeug-Beat, dass man sofort lostanzen möchte. Beim Titelstück bildet er zusammen mit der Percussion das beruhigend pulsende Zentrum, über dem ein dramatisches, fast filmscorehaftes Streicherarrangement das Angstthema des Textes suggeriert. Harding singt die Strophen im Falsett, was ein wenig an seinen berühmten Namensvetter Curtis Mayfield erinnert.

Durch Waber-Keyboards, Wah-Wah-Gitarren und verhallte Vocals bekommt der Sound mitunter einen psychedelischen Touch. Zusammen mit der sanften Stimme von Harding, der seine ersten Auftritte mit dem Gospelchor seiner Mutter absolvierte, entfaltet das Album so eine wohlig-warme Stimmung – hilft garantiert gegen aufkommende Herbstschwermut. Eine echte kleine Glückspille ist die zackige Uptempo-Nummer „Need Your Love“, die wie ein verlorener Gnarls Barkley-Song klingt. Hier ist der Einfluss von Produzent und Gnarls-Barkley-Mitglied Brian Burton alias Danger Mouse am deutlichsten zu hören. Auch sonst macht er einen tollen Job: Großartig etwa wie er dem Bläsersatz von „On And On“ einen leicht zerbeulten Klang verpasst und ihn in die Mitte statt nach vorne mischt. Dadurch bekommt das Stück genau die richtige Dosis Modernität, durch die es nicht wie ein reines Motown-Pastiche wirkt.

Curtis Harding beweist mit „Face Your Fear“, dass er mehr als eine Eintagsfliege der Neo-Soul-Szene ist, die mit Sharon Jones und Charles Bradley in den letzten Monaten wichtige Stimmen verloren hat. Beide lebten in New York und brachten ihre Platten beim Brooklyner Label Daptone Records heraus. Dort würde auch Curtis Harding gut hinpassen. Andererseits: Muss gar nicht sein, Atlanta kann es auch allein.