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Erinnerungen an dunkle Zeiten – Die rumänische Regisseurin Anca Miruna Lazarescu im Portrait

Anca Miruna Lazarescu
Anca Miruna Lazarescu | © Elise Wilk

Transkript
Podcast auf B5 aktuell. Das interkulturelle Magazin

von: Eleonore Birkenstock, Heinz Gorr, Elise Wilk, Kristina Dumas, Dagmara Dzierzan
 

Ein Rumänien hinter dem eisernen Vorhang hat noch die Filmregisseurin Anca Miruna Lazarescu erlebt. Zusammen mit ihren Eltern und Geschwistern kam sie Anfang der 90er Jahre, gleich nach dem Mauerfall, nach Deutschland. Die verwirrenden Erfahrungen des jungen Mädchens, die Ängste und Hoffnungen, trägt sie bis heute in ihrem Herzen und verwandelt sie in eine Filmsprache, die die Menschen bewegt. Der Kurzfilm "Stille Wasser" wurde vielfach ausgezeichnet. "Reise mit Vater" kam letztes Jahr in die Kinos. Nun dreht sie ihren zweiten Spielfilm. Elise Wilk hat die Regisseurin getroffen.

Wilk: Timișoara, eine Großstadt an der westlichen Grenze Rumäniens: Es ist 1986, der Kalte Krieg tobt, Europa ist noch gespalten. Auf dem Pausenhof unterhalten sich die Kinder- über Klassenkameraden, die plötzlich verschwunden sind. Über Nachbarn, die über die Donau geflüchtet sind, nach Jugoslawien. Über einen Tulpenhändler, der von der Bundesrepublik Geld dafür bekommt, dass er Rumäniendeutsche in den Westen bringt. Anca ist acht, mit solchen Geschichten wächst sie auf. Im Dezember 1989 wird die kommunistische Diktatur gestürzt. Kurz nach der Wende reist Anca mit ihren Eltern in den Westen aus, nach Deutschland. Ein Land, dessen Sprache sie aus der Schule kennt. Zwei Jahrzehnte später, als Anca Miruna Lazarescu auf der Filmhochschule in München Regie studiert, kommen die Geschichten ihrer Kindheit wieder hoch. Eine davon handelt von einer illegalen Flucht über die Donau während des Ceaușescu- Regimes. Sie wird zum meistprämierten deutschen Kurzfilm aller Zeiten: „Stille Wasser“.

„Ich wollte unbedingt von der Zeit erzählen, an die ich mich sehr vage und doch eigentlich auch wiederum sehr intensiv erinnere: Das sind die 80er Jahre, das ist die sogenannte „schwarze oder dunkle Periode“, in der ich eigentlich meine Kindheit verbracht habe", sagt die Filmregisseurin Anca Miruna Lazarescu. Weltweit wird der Kurzfilm „Stille Wasser“ mit über 80 Preisen ausgezeichnet und auf Festivals in der ganzen Welt gezeigt: von Mexiko bis China. Die Erwartungen an den ersten abendfüllenden Spielfilm von Anca Miruna Lazarescu sind hoch. Die Regisseurin entscheidet sich für eine wahre Geschichte, die sie nie losgelassen hat, die sie unbedingt erzählen will. So entsteht „Reise mit Vater“ – ein Film, der 2016 seine Weltpremiere in München feierte. „Mein Vater hat mir diese Geschichte sehr häufig erzählt. Ich war Kind und ich habe die immer nicht begriffen und bei uns Zuhause wurde immer wahnsinnig viel gestritten und wir sind vom Balkan und bei uns flogen häufig Fetzen und Teller. Aber immer wenn es um diese Geschichte ging, gab es so eine Melancholie in dem Raum und da wurde man immer eher still.“

Eine rumänische Familie möchte 1968 in der DDR Urlaub machen. Kaum sind sie angekommen, rollen jedoch sowjetische Panzer ein, die Grenzen werden dicht gemacht. Die Familie kommt in ein Auffanglager. Dort erreicht sie die Nachricht, dass eine Rückreise nach Rumänien über den Osten ausgeschlossen sei. Stattdessen erhält die Familie ein 48-Stunden-Visum für den Transit über die BRD und damit die Chance zu entscheiden, ob sie im Westen bleibt oder in die Heimat Rumänien zurückkehrt. Der Vater der Regisseurin musste damals als 18-Jähriger diese Entscheidung treffen. Zuhause wartete seine Freundin Nelly auf ihn. Er entschied sich zurückzukehren. Für sie. „Mein Vater hatte eher so eine Traurigkeit und hat sich immer gefragt: Was wäre wenn? Was wäre wenn er sich damals anders entschieden hätte. Nun bin ich also damals mit einem Vater großgeworden, der eigentlich diese Entscheidung bereut hat und das hat mich natürlich als Filmemacherin und auch als Mensch und Tochter sehr tief berührt. Auf dieser Geschichte beruht auf leicht abgewandelter Form das Drehbuch des Spielfilms „Reise mit Vater“. Ein Film, der gleichermaßen Kritik und Publikum begeistert. 2016 tourt er durch die Welt. Am Emotionalsten ist die Premiere in Rumänien. Im Publikum sitzt dort die wirkliche Nelly, die damalige Freundin des Vaters. „Mein Vater und Nelly haben sich ja dann ziemlich bald auch getrennt und Nelly wurde nicht meine Mutter. Ich habe sie dann ja auch zur Recherche des Films auch getroffen und gefragt ob sie weiß, dass mein Vater auch wirklich mindestens zu 50% für sie zurückgekehrt ist. Und das Interessante ist, sie wusste das gar nicht so genau. Sie haben nie mehr so richtig darüber geredet, weil das war alles belastet. Man durfte nicht darüber reden. Auch schon allein einen Freund zu haben, der 48 Stunden oder mehr im Westen verbracht hat. Da haben die Eltern völlig zurecht gesagt: Der Junge hat Probleme, lass mal die Finger von dem. Das waren Zeiten, die so unfassbar andere Spielregeln hatten, dass es wirklich schon sehr gut ist, im Zuge der „Anti-EU-Gespräche und sollen wir die Grenzen wieder zuziehen" schon sinnvoll ist, wieder sich daran zu erinnern wie wir mal gelebt haben oder wie unsere Eltern mal gelebt haben."

Zurzeit dreht die Regisseurin Anca Miruna Lazarescu ihren zweiten Spielfilm. „Glück ist was für Weicheier“ spielt nicht mehr in Rumänien, sondern in der deutschen Provinz, wo ein Mädchen versucht, das Leben ihrer Schwester zu retten. Es ist genau die Provinz, wohin Anca 1990 als 11-Jährige zog, – aus einer rumänischen Großstadt. „Es ist durchaus wieder ein Stück von mir, aber wahrscheinlich ein viel Kleineres und ich freue mich sehr über diesen Film, denn es ist ein Film über zwei Schwestern. Ich glaube, es wird ein sehr poetischer Film und ein Film, wo ich noch viel mehr das machen will, was mir eigentlich auf der Seele brennt, nämlich Lachen und Weinen ganz nah aneinander zu bringen und weiterhin in der Tradition, in der Erzähltradition, zu bleiben, in der ich groß geworden bin." Über die Entscheidung ihrer Eltern, 1990 nach Deutschland auszureisen, freut sich Anca Miruna Lazarescu heute. Diese Erfahrung hat sie bereichert. Sonst wäre sie nicht der Mensch, der sie heute ist und hätte nicht so viele Geschichten zu erzählen.

Ein Portrait der aus Rumänien stammenden Filmregisseurin Anca Miruna Lazarescu von unserer Autorin Elise Wilk.