Barock
Barocker Glanz

Offen für die Faszination italienischer und französischer Vorbilder, schufen die Komponisten des 17. und 18. Jahrhunderts im deutschsprachigen Raum eine vielfältige und ganz eigene Musiksprache. Es entstand ein quicklebendiges, dichtes, vielfach verwebtes und europäisch ausgerichtetes Netzwerk.

Das barocke Zeitalter im deutschsprachigen Raum auf seine bekanntesten Vertreter Johann Sebastian Bach, Georg Friedrich Händel und Georg Philipp Telemann zu reduzieren, wäre falsch: Allein mit Blick auf das 17. Jahrhundert stehen mit Heinrich Schütz, Johann Hermann Schein und Samuel Scheidt auch die "drey berühmten S" für einen fulminanten Fortschritt in der Ausprägung einer einzigartigen barocken Klangwelt.

Ohne diese herausragenden Komponisten wäre die zu beobachtende Entwicklung im deutschsprachigen Raum nicht derart intensiv erfolgt. Doch das quicklebendige musikalische Leben in Residenzen und Bürgerstädten war ein dichtes, vielfach verwebtes und europäisch ausgerichtetes Netzwerk von hoher Qualität unter Mitwirkung unzähliger Protagonisten. Dabei spielt spezifisch für die deutschsprachigen Länder eine wichtige Rolle, dass es kein zentrales politisch-höfisches Zentrum gab (wie in Frankreich), sondern eine Vielzahl großer und kleiner Höfe unterschiedlicher Konfession, die allesamt von der französischen Kultur geprägt waren. Daneben entstanden Zentren in den großen Städten, die in vergleichbarer Weise Bürgerstolz und Repräsentation auch musikalisch-unterhaltsam zum Ausdruck bringen wollten.

Grandios und vielgestaltig

Die Zeit zwischen 1600 und 1750 ist durch fließende Übergänge und epochale Abschnitte gekennzeichnet. Nach einer Phase des Wandels um 1600 wird der Frühbarock bis etwa 1650 gerechnet, die Zeit bis 1710 als Hochbarock angesehen und die Zeit bis etwa 1750 als Spätbarock bezeichnet. Doch bereits in diesen Jahrzehnten entwickelt sich das, was man den "empfindsamen", auch "galanten" Stil nennt, die "musikalische Vorklassik" oder das Rokoko – also das, was die Klassik vorbereitete und in ihren Meisterwerken möglich machte.

Die musikalischen Formen und Stilprinzipien dieser Zeit standen zunächst unter vorrangig italienischem Einfluss, orientierten sich später an französischen Vorbildern und strebten schließlich zum Ende der Epoche hin zu einem "vermischten Geschmack". Charakteristisch für den deutschsprachigen Raum ist dabei, dass das Eigenständige aus der Rezeption, der Anverwandlung des Fremden, entstand. So waren etwa für Heinrich Schütz, Johann Hermann Schein oder Michael Praetorius die italienische Monodie und der Concerto-Stil prägend; die Entstehung der nord- und mitteldeutschen Orgelmusik eines Matthias Weckmann, Johann Jacob Froberger, Dietrich Buxtehude und letztlich eines Johann Sebastian Bach wurde demgegenüber maßgeblich von der englisch-niederländischen Orgeltradition beeinflusst. Die einzigartige Vielfalt der deutschen Musikkultur des 18. Jahrhunderts fand schließlich in der Idee vom vermischten, dem eigentlich "deutschen" Geschmack – also einer Vereinigung des Besten der regionalen Stile – ihren nachhaltigen Ausdruck in der ästhetischen Diskussion bei Johann Joachim Quantz.

Neue Formen – neuer Ausdruck

Das barocke Zeitalter sah den Komponisten auf seinem Weg zum selbstbewussten, freien Künstler, wie ihn schließlich Mozart oder Beethoven im klassischen Sinne darstellten. Die Entwicklung dorthin ist lang und führte im Barock vom reinen "Tonsatz" bis zur Fixierung von klanglichem Vordergrund und seelisch-geistigem Hintergrund der Musik. Das bedeutete, dass der Komponist neben der rein formalen Notierung der (Sing-)Stimme auch Lautstärkedifferenzierungen, Angaben zu Tempo und Agogik machte; er legte zunehmend die genaue Besetzung fest und komponierte charakteristisch instrumental oder vokal. Das Wesen der Komposition entwickelte sich zum nahezu vollbestimmten Opus.

Eine Fülle von neuen Gattungen und Formen entstand; das Dur-Moll-System mit reicher Chromatik und der Einsatz von dissonanten Akkorden fanden in weitem Maße Anwendung. Damit einher ging die Emanzipation der Instrumentalmusik: Aus dem konzertanten Prinzip heraus formten sich Concerto grosso, Concerto, Fuge, Suite und Sonate. Allein für die Suite schufen Johann Hermann Schein und Samuel Scheidt, dann Johann Rosenmüller, Johann Jacob Froberger und Georg Muffat bis hin zu Georg Böhm und Johann Caspar Ferdinand Fischer musterhafte Werke.

Das Geistliche Konzert – als Feld der Verquickung von venezianischer Mehrchörigkeit, der neuen Praxis des Generalbasses und des Konzertierens aller Stimmen mit dem protestantischen Choral – fand in Heinrich Schütz, Samuel Scheid und Dietrich Buxtehude seine Meister. Aus ihm entwickelte sich die Kantate, deren typische Satzfolge in den Werken Wolfgang Carl Briegels entstand. Buxtehude und Telemann sowie Johann Sebastian Bach sind schließlich die wichtigsten Komponisten dieser Gattung.

Heinrich Schütz schuf mit seiner Weihnachtshistorie und seinen Passionen exemplarische Alterswerke für diese jungen Gattungen. Als erstes deutsches, evangelisch geprägtes Oratorium wurde 1704 Reinhard Keisers Der blutige und sterbende Jesus aufgeführt. Die klangvollen Oratorien Bachs und Händels zählen heute zu den bekanntesten und am häufigsten aufgeführten.

Daneben wurde mit der Konversion des sächsischen Kurfürsten Friedrich August I. zum Katholizismus vor allem Dresden zu einer Pflegestätte des italienischen katholischen Oratoriums mit Werken von Johann David Heinichen, Jan Dismas Zelenka, Johann Adolf Hasse oder schließlich Johann Gottlieb Naumann.

Die Oper

Musiktheater in einer neuen, grandiosen Form: Menschen standen durch Rolle und Kostüm als Individuen hervorgehoben auf einer Bühne, begleitet von einem Instrumentalensemble, dessen Basis eine Continuo-Gruppe bildete. Die Üppigkeit und das Fantastische von Kostümen und Bühnenausstattung spiegelten sich als Klangpracht, Virtuosität und Improvisationskunst in der Musik wider. Die Prima Donna (die erste Sängerin) und der Primo Uomo (der erste Sänger-Kastrat) wetteiferten um die Gunst des Publikums. Wie heute auch erhielten sie hohe Gagen, stiegen zu internationalen Stars auf und waren begehrt an den Höfen in ganz Europa.

Mit der (heute verschollenen) Musik zur Daphne komponierte Heinrich Schütz auf einen Text von Martin Opitz die erste deutsche Oper, die 1627 in Torgau zur Aufführung kam. Die erste erhaltene deutsche Oper komponierte Sigmund Gottlieb Staden. Das Theater am Salvatorplatz in München wurde 1654 mit einer Oper von Giovanni Battista Maccioni eröffnet und war damit das erste freistehende Opernhaus Deutschlands (dieses Haus wurde für den Münchner Hof anlässlich der Hochzeit des Kurfürsten erbaut und war somit eng mit der höfischen Kultur verbunden). Zum Ende des 17. Jahrhunderts wirkten als Opernkomponisten Johann Philipp Krieger in Weißenfels, Agostino Steffani in Hannover und Georg Kaspar Schürmann in Braunschweig sowie Carl Heinrich Graun, der später in Berlin am Hof Friedrichs II. als Hofkapellmeister und Komponist italienischer Opern erfolgreich tätig war.

Für die Reputation eines Hofes war es wichtig, sich die besten Sänger leisten zu können – so auch für die Kurfürsten in Dresden, die 1662 anlässlich des "kurfürstlichen Beylagers" ihre erste italienische Oper mit Il Paride von Giovanni Andrea Bontempi, Vizekapellmeister unter Schütz zu dieser Zeit, erlebten. Ab 1717 ist Johann David Heinichen Kapellmeister Augusts des Starken; zwei Jahre später reist Georg Friedrich Händel nach Dresden, um sich anlässlich der glanzvollen Feierlichkeiten zur Vermählung des sächsischen Kurprinzen ebenfalls die besten italienischen Sänger anzuhören (und erfolgreich für seine Londoner Oper anzuwerben). Und schließlich strahlte ab 1733 der Stern Johann Adolph Hasses für etwa dreißig Jahre am Opernhimmel.

Hamburg besaß seit 1678, Leipzig seit 1693 ein "öffentliches und populäres" Opernhaus: Das damit älteste, nur auf bürgerliche Initiative zurückgehende Opernhaus am Hamburger Gänsemarkt brachte viele neue Werke deutscher Komponisten wie Georg Friedrich Händel, Reinhard Keiser, Johann Mattheson und Georg Philipp Telemann unter Verwendung deutscher Libretti hervor. Zudem standen Bearbeitungen französischer und italienischer Opern auf dem Spielplan, bei denen die Rezitative übersetzt und die Arien in der Originalsprache beibehalten wurden. Bis zur Schließung 1738 fanden hier fast 300 Opernuraufführungen statt.

Eine neue Öffentlichkeit

Das allmähliche Autonomwerden der Kunst und die sich entsprechend entwickelnden Darbietungsformen – zunächst im höfisch-aristokratischen Bereich, die zunehmend einer zahlenden Öffentlichkeit zugänglich wurden – etablieren im 18. Jahrhundert allmählich ein (halb-)öffentliches Konzertwesen. Reisende Virtuosen und die Professionalisierung des Konzertes förderten diesen Prozess nach italienischen und französischen Vorbildern. Regelmäßige Konzerte, nicht selten in den Sälen von Gastwirtschaften und in Vergnügungsparks, luden zur Subskription und hofften auf zahlreiche Besucher. Georg Philipp Telemann gründete 1713 in Frankfurt am Main und 1723 in Hamburg auf Grundlage der bestehenden Collegia musica regelmäßige Konzertreihen. In Leipzig hatte er bereits ab 1701 öffentliche Konzerte mit dem dortigen Collegium musicum organisiert.

Johann Sebastian Bach leitete dieses Ensemble ab 1729 und hielt an jedem Freitag seine legendären Kaffeehauskonzerte ab. 1743 folgte schließlich als Leipziger Konzertreihe das sogenannte "Große Konzert" nach dem Vorbild der Pariser "Concerts spirituels".

Offene Türen für ein neues Zeitalter

Am Ende des barocken Zeitalters steht auch im deutschsprachigen Raum der Komponist als sich selbst bewusster Künstler dem Hörer in einer durchaus kritischen Öffentlichkeit gegenüber. Im Gegenzug hatte sich der Hörer zu einem geschulten Musikkenner und -liebhaber entwickelt. Der barocke Mensch wusste dabei ebenso das Neuartige, das Vielfältige und Glutvolle in der musikalischen Unterhaltung zu schätzen wie die geistige Tiefe und emotionale Kraft sakraler Kompositionen, die ihm Halt für seine Seele in den bewegten, zu oft von Krieg und Not gezeichneten Jahrzehnten des 17. und 18. Jahrhunderts geben konnten. Die Vielfalt der zur Blüte gebrachten Gattungen, ein virtuos-glänzendes Musizieren, vor allem aber die Suche nach dem menschlichen Ausdruck, dem Spiegel der Seele, der Natürlichkeit der musikalischen Empfindung stoßen schließlich Mitte des 18. Jahrhunderts die Türen zu einem neuen Zeitalter auf.