Ausbildung
Alte Musik studieren

Die deutsche Hochschullandschaft bietet mittlerweile mannigfaltige Möglichkeiten, Alte Musik zu studieren. In den letzten Jahren hat sich dabei das Verständnis für die Wichtigkeit der historischen Aufführungspraxis deutlich vertieft.

Konzert des Barockorchesters Trossingen (Leitung: Prof. Anton Steck) Konzert des Barockorchesters Trossingen (Leitung: Prof. Anton Steck) | © Musikhochschule Trossingen Die deutsche Hochschullandschaft bietet mittlerweile mannigfaltige Möglichkeiten, Alte Musik zu studieren. In den letzten Jahren hat sich das Verständnis für die Wichtigkeit der "historischen Aufführungspraxis" deutlich verändert: Der eigentliche Wert und Nutzen sowohl für den freiberuflichen Musiker im Barockbereich – also den "Barockspezialisten" als auch für den modernen Instrumentalisten und Sänger wird zunehmend erkannt und anerkannt.

Von Grund auf: Bachelor-Studium "Alte Musik"

Es gibt einige Hochschulen, die sich schwerpunktmäßig mit der Interpretation Alter Musik auseinandersetzen. Solche Abteilungen tragen oft den Namen "Institut" oder "Akademie" und zeichnen sich dadurch aus, dass sie neben dem Instrumental- oder Gesangsunterricht auch den Bereich Musiktheorie und Musikwissenschaften als einen wichtigen und tragenden Bestandteil in der Ausbildung verankert haben. Damit wird ein vollwertiger, berufsqualifizierender Bachelor auf altem Instrumentarium (oder im Gesang) erzielt.

Die drei zentralen Musikhochschulen, an denen ein Bachelor-Studiengang absolviert werden kann, sind die Hochschulen in Bremen, Leipzig und Trossingen. Weitere Musikhochschulen erweitern ihr Programm in Richtung "Bachelor Alte Musik" wie zum Beispiel die Hochschulen Weimar und Nürnberg. Eigene Schwerpunkt-Abteilungen haben dabei den Vorteil, dass sie meist über sehr große Bibliotheksbestände und ein großes Mikrofilm-Archiv mit Faksimile-Noten und den wichtigsten theoretischen Schriften und Studien verfügen. Zudem gibt es dort auch den entsprechenden Instrumentenpark – beispielsweise befinden sich im Institut für Alte Musik Trossingen 25 Cembali und vier Hammerflügel sowie zahlreiche Leihinstrumente (Oboen, Klarinetten, Hörner, Violinen, Violen und Celli), die von den Studierenden günstig ausgeliehen werden können.

Vorteile von Schwerpunkt-Abteilungen

Ein weiterer Vorteil großer Abteilungen liegt in der Anzahl der Dozierenden: In Bremen unterrichten etwa 40 Lehrkräfte, in Leipzig und in Trossingen jeweils rund 30. Damit kann an diesen Hochschulen die Vielfältigkeit und Farbigkeit des breit gefächerten Repertoires der Alten Musik in nahezu allen Kombinationen abgedeckt werden – oft kommen Werke zur Aufführung, die im Konzertbetrieb durch ihre großen und stark variierenden Besetzungen aus Kostengründen kaum mehr realisierbar sind. Zusätzlich zum Lehrbetrieb werden außerdem regelmäßig Kurse, Workshops und weitere unterrichtsbegleitende Angebote wie Barocktanz, historische Stimmungen, Komposition Alter Musik etc. angeboten.

Ein neuer Studiengang, "Bachelor Barockorchester", wird ab April 2012 am Institut für Alte Musik Trossingen eingeführt. Dieser Studiengang ist einmalig in Europa: Er wird von führenden Orchesterspezialisten geleitet und führt durch die Orchesterliteratur des Barock, der Klassik und der frühen Romantik. Internationale Vernetzungen durch Kooperationen sind geplant, sodass sich die Theorie direkt mit der Praxis des Orchesterspiels verbinden kann.

Weitere Qualifikation: Master-Studium "Alte Musik"

Der überwiegende Teiler deutschen Musikhochschulen bietet mittlerweile einen Master-Studiengang Alte Musik an. Die Aufgabenstellung ist dabei nicht leicht – man hat genau zwei Jahre Zeit, um den kompletten Kosmos der sogenannten "historically informed performance" (kurz: HIP) zu erarbeiten. Dies setzt eine nicht geringe Vorkenntnis im HIP-Bereich voraus, speziell bei Blas- und Streichinstrumenten.

Studierende, die sich schon während des modernen Studiums mit Aufführungspraxis beschäftigt haben, können sich durch einen Master in diesem Bereich eine zusätzliche Qualifikation erwerben. Für diese Ausbildung wurden an vielen Hochschulen spezialisierte Hauptfachdozenten angestellt. Zusätzlich zu den oben genannten Schwerpunktabteilungen kann ein Master-Studium Alte Musik unter anderem in Köln, Freiburg, Essen/Duisburg, Berlin, München, Stuttgart, Karlsruhe, Frankfurt am Main, Würzburg und Hamburg absolviert werden.

Die "kleinste" Lösung: Nebenfach

Die "kleinste" Lösung eines Studiums der Alten Musik ist ein Nebenfachstudium. An fast allen Musikhochschulen, die über entsprechende Fachlehrkräfte verfügen, kann man neben dem modernen Instrument (oder Gesang) auch Alte Musik im Nebenfach studieren, was einen späteren Einstieg in ein Master-Studium Alte Musik deutlich erleichtert. Auch wird neuerdings bei Probespielen in verschiedenen modernen Orchestern die Auseinandersetzung mit HIP gerne gesehen und vielleicht bald schon vorausgesetzt.

Warum Alte Musik studieren?

Über den Sinn und Zweck eines Alte-Musik-Studiums muss man sicherlich heutzutage nicht mehr streiten. Die Spezifikationen einer Interpretation rückt in den letzten Jahren wieder in den Vordergrund – alle Stile in ein und derselben Art zu interpretieren, wird inzwischen allgemein als langweilig und einfältig empfunden. Auch in modernen Orchestern und Ensembles nimmt ein Stilbewusstsein zu, das die Musik bereichert und belebt. Dabei könnte der Kontrast, in dem sich die heutigen Interpretationen bewegen, nicht größer sein: Zwischen der Affektenlehre des 17./18. Jahrhunderts und der neuen Sachlichkeit der Zwölf-Ton-Musik liegt ein interpretatorisches Spannungsfeld, das komplexer und reichhaltiger nicht sein könnte. Hierzu kommen die einzelnen Nationalstile, speziell in der Barockzeit.

Die Fülle an Informationen wächst täglich, nicht zuletzt durch das ständige Veröffentlichen von Studien und Bibliotheksmaterialien, die teilweise auch online verfügbar sind und die gesamte Fülle der Musikästhetik nur erahnen lassen. Darüber hinaus hat die sogenannte Alte Musik die Grenzen ins 19. Jahrhundert längst überschritten: Glaubte man vor einigen Jahren noch, Alte Musik höre bei Bach auf oder spätestens bei Mozart (daher auch der inzwischen irreführende Name "Alte Musik"), muss man sich nun eines Besseren belehren lassen: Auch Mendelssohn, Schumann, Brahms und Bruckner klingen mit historischen Instrumentarium und unter Anwendung der Musikästhetik des 19. Jahrhunderts völlig anders.