Fußball-Fanprojekte
Extremistischen Tendenzen entgegenwirken

Viele Deutsche begeistern sich für Fußball. Doch immer wieder sorgen radikale Fans für unschöne Szenen. Um gegenzusteuern, setzen Fußball und Politik bundesweit auf Fanprojekte.
Von Daniel Marschke
Es ist der 27. Mai 2018. Nach zwei Jahren in der vierten Liga ist der FC Energie Cottbus wieder in den bezahlten Fußball aufgestiegen. Doch auf dem Cottbuser Altmarkt spielen sich gespenstische Szenen ab. Während die Fans des Brandenburger Clubs ausgelassen feiern, ziehen sich einige Männer Kapuzen im Stil des Ku-Klux-Klans über die Köpfe und halten ein Transparent mit der Aufschrift „Aufstieg des Bösen“ hoch – eine Anspielung auf den Aufstieg Adolf Hitlers. Kurz darauf kursiert das Foto im Internet. Der Verein distanziert sich umgehend und gibt eine Pressemitteilung heraus. Die Aktion sei „menschenverachtend, abstoßend und in keiner Weise tolerierbar“, heißt es.
Aufsuchende Sozialarbeit mit Fußballfans
Das sieht auch Sven Graupner so. Der Sozialarbeiter ist seit vielen Jahren für das Cottbuser Fanprojekt tätig. Er geht davon aus, dass rechtsextreme Fans beim FCE „eine sehr kleine Minderheit“ darstellen. Umso mehr ärgert es Graupner, dass der Club immer wieder in die Schlagzeilen gerät, „weil einige Idioten die wunderbare Atmosphäre hier zerstören“. Dabei sei der Spuk auf dem Altmarkt schon nach wenigen Sekunden vorbei gewesen. Die Kapuzenmänner hätten gewusst, „dass sie bei der großen Mehrheit der Fans auf Ablehnung stoßen“.
Dass radikale Tendenzen in der Anhängerschaft des FC Energie nicht mehrheitsfähig sind, ist auch dem Fanprojekt zu verdanken. Es wird von der Jugendhilfe getragen und besteht bereits seit 1998. Ziel ist es, jugendlichen Fußballfans ein positives Selbstbild zu vermitteln und gegen Gewalt, Rassismus und Diskriminierung anzugehen. Dabei wird das Prinzip der „aufsuchenden Sozialarbeit“ verfolgt: Graupner und seine drei Kollegen sind nicht nur bei allen Heim- und Auswärtsspielen dabei, sondern betreiben auch politische Bildungsarbeit. „Es geht darum, die demokratische Mitte unter den Fans zu stärken.“
Projekte an 59 Standorten in Deutschland
Projekte wie in Cottbus gibt es inzwischen in 59 Städten und Kommunen. Angesiedelt sind sie hauptsächlich an Standorten der Fußball-Bundesliga sowie der zweiten und dritten Liga. Grundlage dafür ist das „Nationale Konzept Sport und Sicherheit“ (NKSS) – eine späte Reaktion auf die Katastrophe im Brüsseler Heysel-Stadion 1985. Damals waren bei einer Massenpanik beim Europapokalfinale zwischen dem FC Liverpool und Juventus Turin 39 Menschen getötet worden. Doch erst 1991, als hunderte Fans von Dynamo Dresden beim Europapokalspiel gegen Roter Stern Belgrad dermaßen randalierten, dass das Spiel kurz vor dem Abbruch stand, ließ sich das Thema Fangewalt nicht mehr kleinreden. Wenig später wurde das NKSS verabschiedet – mit dem Ziel, „demokratische und humanitäre Prinzipien und Werte sowie rechtliche Normen“ zu vermitteln.
Zunehmende Politisierung der Fanszenen
Die Finanzierung der Fanprojekte erfolgt über die jeweilige Kommune und das entsprechende Bundesland. Pro Jahr müssen sie mindestens 60.000 Euro für ein Projekt bereitstellen. Der Deutsche Fußball-Bund und die Deutsche Fußball Liga (DFL) verdoppeln den jeweiligen Betrag und investieren derzeit rund sechs Millionen Euro in die Fanarbeit – so steht es im aktuellen Sachstandsbericht der Koordinationsstelle Fanprojekte (KOS) mit Sitz in Frankfurt am Main. Wie KOS-Referent Gerd Wagner sagt, wird das Geld dringend benötigt, denn in den vergangenen Jahren ist die Projektarbeit nicht einfacher geworden.
„Wir stellen eine zunehmende Ausdifferenzierung und Politisierung der Fanszenen fest“, sagt Wagner. Von ganz rechts bis nach ganz links sei eine Reihe neuer Gruppierungen entstanden. Gesellschaftliche und politische Fragen, wie zum Beispiel die Wahlerfolge der rechts gerichteten AfD oder die Flüchtlingsdebatte, würden mit ins Stadion getragen. Um politische Konflikte nicht in Gewalt umschlagen zu lassen, sei es wichtig, „politischem Extremismus mit sozialpräventiven Maßnahmen entgegenzuwirken“.
Eine Form der mobilen Jugendarbeit
Das Projekt in Cottbus ist dafür ein gutes Beispiel. Zentraler Anlaufpunkt ist die Kickerstube, die immer nachmittags ab 14 Uhr geöffnet hat und sich an Jugendliche und junge Erwachsene zwischen zwölf und 27 Jahren richtet. Um möglichst viele Anhänger des FC Energie zu erreichen, gibt es ein abwechslungsreiches Freizeitangebot – von Kicker-Turnieren bis hin zu Feriencamps – sowie eine breite Palette an Beratungs- und Hilfsangeboten.
Dabei geht es längst nicht nur um Fußball, sondern um die gesamte Lebenswelt – ob Schule, Beruf oder Konflikte mit den Eltern. So betrachtet, sei Sozialarbeit mit Fußballfans eigentlich gar keine Fanarbeit, sondern eher „eine Form der mobilen Jugendarbeit“, sagt Graupner. Denn wenn sich bereits auffällige Fußballfans nicht weiter radikalisieren sollten, müsse man immer wieder den Dialog mit ihnen suchen: „Wir müssen mit ihnen sprechen, nicht über sie.“
Kommentare
Kommentieren